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Die zweite Kreuzigung

Die zweite Kreuzigung

Titel: Die zweite Kreuzigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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wechselten peinlich berührte Blicke. Sie glaubten, die Frau biete ihnen sich selbst zur Belohung an. Gerald erklärte, sie wollten keinen Dank, dass das Kind überlebe sei ihnen Lohn genug.
    A’isha schüttelte wieder den Kopf.
    »Ich weiß, warum Sie nach Ain Suleiman gekommen sind. Jeder weiß das. Scheich Harun sagt, Sie müssten getötet werden, bevor Sie finden können, was Sie suchen. Aber Sie haben meinem Sohn das Leben geschenkt. Deshalb werde ich Sie dorthin führen. Jetzt gleich. Es ist nicht weit.« Gerald schaute sie verständnislos an.
    »Wir wollten Ain Suleiman finden. Das ist alles, wonach wir gesucht haben.«
    »Ich weiß, was Sie wirklich suchen«, sagte sie. »Ich zeige es Ihnen. Der Sand ist im Sturm gewandert. Es gibt viel zu sehen.«
    »Was für ein Ding ist es denn?«, fragte Gerald.
    »Es ist kein Ding«, antwortete sie. »Es ist eine Stadt. Die Stadt Wardabaha. Dorthin führe ich Sie jetzt. Bevor der Mond untergeht. Ich zeige Ihnen die Halle der Schläfer, wo die Alten ruhen. Ich kann nicht hineingehen. Das darf keiner von uns. Aber Sie sind Engel. Kommen Sie. Kommen Sie mit nach Wardabaha.«

DRITTES KAPITEL
Die Stadt Wardabaha
    Leary blieb beim Funkgerät für den Fall, dass das Basislager mit ihnen Kontakt aufnehmen wollte. Skinner war bereits zum Wachdienst abgestellt. Er richtete sich an einem der Browning-MGs ein und hatte eine Leuchtpistole zur Hand, falls sich herausstellen sollte, dass das Ganze eine Finte der Tuareg war, um die Fahrzeuge plündern zu können. Die anderen folgten A’isha mit Taschenlampen über die versilberte Landschaft. Keiner sprach ein Wort. Ihre Füße versanken im weichen Sand, und die Abdrücke füllten sich mit Mondlicht, als ob Quecksilber in die Vertiefungen rinne. Eine weiße Eidechse, von dem Licht aufgescheucht, huschte über ihren Weg und verschwand im Dunkel.
    Sie hatten nicht weit zu gehen, höchstens vierhundert Meter. Da sie eine Wüstenstadt mit Türmen und Zinnen, Kuppeln und Minaretten, mit uralten Treppen erwarteten, an denen der Zahn der Zeit genagt hatte, sahen sie zunächst gar nichts. Als A’isha erklärte, sie seien angekommen, erblickten sie ringsum nur Dünen, denen weitere Dünen folgten, und über allem das silberne Mondlicht.
    A’isha musste Gerald am Arm nehmen und an den Ort geleiten, den sie im Auge hatte. Die anderen folgten, fast sicher, dass die Frau – ob nun aus Heimtücke oder Übermut – sie hinters Licht geführt hatte. Chips wollte sofort umkehren. Er glaubte, die Tuareg hätten sie fortgelockt, um die Fahrzeuge ausrauben zu können. Leary und Skinner waren vielleicht schon tot. Aber sie hatten weder einen Schuss noch Schreie gehört. Ringsum herrschte Totenstille.
    Dann war plötzlich alles anders, als hätte sich die Landschaft selbst gewandelt oder als würden magische Dinge für das menschliche Auge sichtbar. Unmittelbar rechts neben sich erblickte Gerald etwas wie eine menschliche Gestalt, eine Frau, in ein Gewand gehüllt. Als er sah, dass sie keinen Kopf hatte, wurde ihm klar, dass er vor einer Statue stand. Hinter ihm stieß Max Chippendale einen Pfiff aus.
    »Heiliger Herkules!«
    Er trat an die Figur heran, die jetzt der Mond beleuchtete. »Römisch«, sagte er. »Römisch und so weit im Süden! Das ergibt keinen Sinn.«
    »Dr. Chippendale, hierher«, rief Teddy Clark, dem der wissenschaftliche Grad des Professors wie von selbst über die Lippen kam.
    Er war über einen Löwenkopf aus Marmor gestolpert – mit geblähten Nüstern, weit offenen Augen und einer wunderbar geformten gewaltigen Mähne.
    Als sie zwischen zwei Dünen hindurchgingen, lag eine ganz neue Welt vor ihren erstaunten Blicken: Säulen, zerfallen oder noch von Kapitellen aus Akanthusblättern gekrönt, ragten aus dem Sand. Auf der einen Seite waren zwei Torbogen durch ein rundes Gesicht verbunden, umkränzt von langen, gekräuselten Locken.
    »Medusa«, flüsterte Chippendale. Das seien keine Locken, erklärte er, sondern Schlangen, so fein ziseliert, als ob sie lebten.
    Das Mondlicht, das auf das Gesicht fiel, schien es von innen zu erleuchten.
    Max wanderte wie in Trance zwischen den Ruinen umher, die ihm vorkamen wie die großen römischen Städte des libyschen Nordens: Leptis Magna, Ptolemais oder Sabratha. Libyen, damals Cyrenaica genannt, war eine dergrößten Provinzen des Römischen Reiches gewesen, die Getreide, Vieh und eine breite Palette von Heilkräutern lieferte. Allein der Handel mit Silphium, einer Pflanze, die aussah wie

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