Die zweite Kreuzigung
übergroßer Fenchel, hatte die Provinz reich gemacht. Im antiken Libyen hatte es Amphitheater, Bäder, Foren und Villen gegeben – all die Symbole einer Erfolgsgeschichte des Reiches.
»Ich kann bisher nur raten«, sagte Max und ließ seine Hand am kannelierten Schaft einer Säule aus Rosengranit hinabgleiten, »aber ich denke, die Bauten stammen aus der Zeit, nachdem der Kaiserkult nach Libyen gebracht wurde. Das war von 70 nach Christi während der gesamten Herrschaftszeit Trajans bis etwa 100 oder etwas später. Das ist allerdings nur eine Vermutung. Es kann hier auch wesentlich jüngere Bauten geben. Unter dem Sand kann alles Mögliche liegen. Das hängt davon ab, wie lange diese Stadt bewohnt war.«
»Ist sie denn irgendwo erwähnt?«, fragte Gerald.
Max zuckte die Achseln.
»Keine Ahnung. Ich habe Vorlesungen über das römische Afrika gehalten, aber ich bin kein wirklicher Experte. Es könnte schon Erwähnungen geben, doch ich bin nirgendwo darauf gestoßen. Irgendetwas sitzt in meinem Hinterkopf. Es wird mir schon noch einfallen.«
Es war Clark, der schließlich auf den Eingang stieß. Der junge Teddy Clark, ein hübscher Kerl aus Kent, ein Bauernsohn, den es, kaum aus der Schule, in diese Wüste aus Stein und Geröll, fern von den grünen Feldern seines Vaters, verschlagen hatte. Mit scharfem Blick hatte er die Tür im Sand erspäht, lief darauf zu und rief die anderen herbei.
Der halboffene Eingang befand sich am windgeschützten Abhang einer Düne. Zu beiden Seiten erhob sich je einrechteckiger geriffelter Pfeiler von etwa zwei Metern Höhe, abgedeckt von einem Türsturz aus Stein, der eine eingemeißelte, vom Sand teilweise abgeschliffene griechische Inschrift trug. An beide Enden des querliegenden Steins hatte der Bildhauer eine Rosette aus sechs schmalen Blättern, flankiert von stilisierten Palmen, gesetzt.
Es war jedoch die Tür selbst, bei der es Max Chippendale den Atem verschlug. Die beiden Flügel bestanden aus Bronze. Auf dem rechten hatte eine Meisterhand die naturgetreue Nachbildung eines siebenarmigen Leuchters in Gold aufgetragen und auf dem linken mit ebensolcher Kunstfertigkeit ein Kreuz, das eine hebräische Inschrift trug. Der linke Flügel war nicht ganz geschlossen, so dass ein Kind hätte hindurchschlüpfen können.
Erstaunt über die so unterschiedlichen Darstellungen, hob Max die Hand zu dem oberen Querbalken und wischte den Sand beiseite, der sich dort abgelagert hatte. Nach und nach traten die griechischen Lettern deutlich hervor.
Gerald ging ganz nahe heran und starrte auf die Inschrift. Die anderen sammelten sich um ihn. A’isha stand etwas entfernt, als fürchte sie sich, näher zu treten.
»Das verstehe ich nicht«, sagte Gerald. »Ich denke, das war eine römische Ansiedlung. Was hat eine griechische Inschrift hier zu suchen?«
»Können Sie sie lesen?«, fragte Max.
»Nicht ohne Wörterbuch. Griechisch ist in der Schule nicht gerade mein Lieblingsfach gewesen.«
»Eigentlich müssten Sie sich vielmehr fragen, was das Hebräische auf dem Kreuz zu suchen hat. Darauf weiß ich keine Antwort. Aber das Griechische ist leicht zu erklären. In Ägypten und der Cyrenaica haben die Römer noch Griechisch benutzt. Das ist bekannt. Das Hebräische kommtmir merkwürdig vor, ebenso der Leuchter. Der ist eindeutig jüdisch. Und direkt neben einem christlichen Symbol. Ganz außergewöhnlich.«
»Das sehe ich auch. Können Sie das Griechische verstehen?«
Donaldson hatte eine Öllampe aus einem Wagen mitgenommen, die er jetzt hochhielt. Das flackernde Flämmchen ließ Licht und Schatten über die Inschrift huschen.
Max überflog die griechischen Lettern, dachte einen Augenblick nach und übersetzte dann:
Dieser Eingang zur Proseuchê wurde im zweiten Jahr von Kaiser Marcus Ulpius Trajanus am siebenten Tammuz auf Anordnung des Archisynagogos Dositheos, Sohn des Ammonius und des Archiprostates Zenion, Sohn des Zoilos, durch die Ebonyim Gemeinde von Ain Shelomo errichtet.
»So ungefähr«, sagte Max.
»Wann ist denn das gewesen?«, fragte Teddy Clark. »Das zweite Jahr des Trajan?«
Max rechnete kurz nach.
»Irgendwann um 100 n. Chr. Trajan ist im Januar 98 zum Kaiser gekrönt worden. Die Monatsangabe ist allerdings merkwürdig. Tammuz ist ein jüdischer Monat. Und wenn ich nicht irre, dann ist
Proseuchê
ein anderes Wort für Synagoge. Dieser Dositheos könnte dann das Oberhaupt der Synagoge gewesen sein.«
»Eine Synagoge war das nicht«, widersprach
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