Die zweite Kreuzigung
Donaldson, »mit einem Kreuz an der Tür.«
Max zuckte die Schultern.
»Ich denke, wir werden hier noch manche Überraschung erleben.«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Das weiß ich selber bisher nicht. Wir sollten versuchen hineinzukommen, meint ihr nicht?«
Sie blickten einander in die Gesichter, auf denen das Mondlicht lag, und dann in die Dunkelheit hinter der Tür.
»Ob sie überhaupt aufgeht?«, fragte Gerald.
Die Tür schien in der Stellung, in der sie sie vorgefunden hatten, festgeklemmt zu sein. Halb offengehalten durch einen Berg von Sand, was dahinter lag, für immer unter dem Gewicht der Wüste begraben, ihre Geheimnisse auf ewig im Dunkel verborgen.
Max fegte den Sand von den Reliefs auf den Türflügeln und fuhr dann mit der Hand sachte die Kante des halboffenen Flügels entlang. Er spürte alten Sand und Schmutz, Ablagerungen, die die Jahrhunderte hier hinterlassen hatten.
»Das lässt sich herausfinden«, sagte er. Und er drückte den linken Flügel sachte nach innen. Die anderen halfen mit. Zu ihrer Überraschung gab der Türflügel nach. Zwischen Tür und Boden war so viel Raum, dass der Flügel sich etwas bewegen ließ und den Sand dahinter beiseiteschob.
Als die Öffnung groß genug war, dass sie hindurchschlüpfen konnten, nahm Max eine der Taschenlampen und ging voran. Ein Strahl des Mondes folgte ihm, ein fahler, milchiger Schwall von flüssigem Alabaster, der sich auf dunklen Sand ergoss. Gerald befahl Clark, draußen Wache zu halten.
»Haben Sie ein Auge auf A’isha«, sagte er. »Ich vertraue ihr immer noch nicht.«
Die junge Frau war nicht mehr zu sehen. Gerald ließ den Strahl seiner Taschenlampe über die umliegenden Dünen gleiten, aber von A’isha keine Spur.
»Rufen Sie uns, wenn etwas geschieht, Clark«, ordnete er an. »Was es auch sei.«
Er trat durch die Tür.
Es war, als wäre er mit diesem einen Schritt von einer Welt in eine andere gelangt, wie ein Mann, der von einem Schiff ins Meer fällt und sofort in dessen endlose Tiefe hinabgezogen wird. Im Augenblick des Falls weiß er noch nicht, welch enorme Veränderung sich vollzieht, wie tief und kalt der Ozean sein wird. So erging es Gerald Usherwood und seinen Kameraden, als sie sich aus der Wüste in ein Meer aus Stein und den Netzen unermüdlicher Spinnen begaben.
Sie traten in einen lichtlosen Raum. Sein Dach hatte keine Öffnung, durch die Mond oder Sterne hätten hereinscheinen können. Dieses Dunkel herrschte hier seit Jahrhunderten. Das spürte er sofort. Drinnen war es nicht kälter und nicht wärmer als draußen. Als aber der Strahl seiner Lampe auf die Wände und verschatteten Vorsprünge der hohen Decke fiel, schrumpften die riesigen Räume der Wüste, in denen er sich nun schon seit Jahren bewegte, auf die Dimension eines uralten Gemachs zusammen, eines Vorzimmers, das ihn tiefer ins Innerste dieser Welt führen sollte.
Viele Hunderte von Jahren hatten Myriaden von Radnetz- und Baldachinspinnen den Raum durchquert und überall ihre Netze hinterlassen. Vom Lichtstrahl der Taschenlampe erschreckt, fuhren die lebenden Exemplare nach allen Seiten auseinander und suchten in der Dunkelheit Schutz. Eine ca. 15 cm große Kamelspinne huschte aus ihrem nächtlichen Hinterhalt in einen Riss zwischen Wand und Fußboden. Gerald hielt sich in der Mitte des Raumes, denn in den Spalten und Fugen der Mauern konnten Skorpione sitzen.
Max folgte ihm schweigend, und gemeinsam beleuchteten und betrachteten sie die Einzelheiten der Vorhalle.
Sie wurde zu beiden Seiten von vier ionischen Säulen gestützt. An einer Wand entdeckten sie eine Steintafel mit einer hebräischen Inschrift, gegenüber eine ähnliche mit Schriftzügen in Latein. Die Wände waren mit Dutzenden wunderschöner Mosaiken geschmückt. Eines an der Wand genau gegenüber dem Eingang fiel besonders auf. Es glitzerte und leuchtete im kalten Licht der Taschenlampen mit weißen, roten, blauen und goldenen Steinchen. Es stellte ein großes weißes Bauwerk auf einem Berg dar, zu dem von allen Seiten steile Treppen führten. Es war von Befestigungsanlagen mit Türmen an den Ecken und einem großen Hof umgeben. Das zentrale Gebäude überragte die Umgebung beträchtlich. Das Dach glänzte golden und wurde von Säulen mit goldenen Kapitellen getragen. Ein riesiges Tor führte in das dunkle Innere. Am Himmel darüber schwebten Engel mit goldenen Flügeln. In der Stille glaubte man ihr Rauschen zu vernehmen.
Gerald trat an das Mosaik heran und fuhr mit den Fingern
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