Die zweite Kreuzigung
Brennen, das sie zwischen den Beinen verspürte. Sie kniff die Augen zusammen, um die Bilder der Vergewaltigung zu vertreiben, die erneut in ihr hochkamen. Ihr Herz stach, als sie immer deutlicher wurden, als sei jeder dieser ekelhaften Augenblicke in ihrem Körper gespeichert.
Von »der Vergewaltigung« konnte keine Rede sein, denn sie hatten es abwechselnd viele Male getan. Wie oft, wusste sie nicht mehr, aber die Qual, mit Gewalt, gegen ihren Willen genommen zu werden, der widerliche Körpergeruch des großen Mannes, die mechanischen Stöße, das Bewusstsein, dass dies nicht zu jemandes Vergnügen geschah, sondern als reine Demütigung und Warnung – all das hatte ihr würgendes Entsetzen verursacht, sie taub gegen jedes Gefühl gemacht, einen Akt, den sie früher genossen hatte, in eine monströse Handlung verwandelt.
Der Deutsche (wenn er denn einer war) hatte ihr mehrfach erklärt, dies sei alles nur ein Vorgeschmack davon, was sie erleben werde, wenn sie nicht mitspiele. Wohin sie gingen, so sagte er, warteten weitere Männer, die das Gleiche mit ihr machen würden, wenn sie gerade Lust darauf hätten. Man werde sie nackt in ein Verlies werfen, wo sie ihnenjederzeit zur Verfügung stehen müsse. Sie würden sie einzeln, zu zweit, meist aber in Gruppen aufsuchen.
Bis sie voll mit ihm kooperiere.
»Was soll ich denn tun?«, hatte sie gefragt. »Wie kann ich kooperieren?«
Darauf meinte er nur, das habe Zeit und werde sich klären.
Im Schlafzimmer des Gartenhäuschens hatten sie ihr zum ersten Mal Gewalt angetan. Mit einem Knebel erstickten sie ihre Schreie. Sie hatten sie auf dem Bett festgebunden, und wenn sie den Kopf drehte, konnte sie durchs Fenster das Haupthaus wie einen Schatten in der Dunkelheit sehen. Die Schreie fanden nur noch in ihrem Kopf statt. Sie fragte sich, ob einer der beiden AIDS habe.
Als sie mehr und mehr zu sich kam, wurde ihr klar, dass sie auf einer Trage festgeschnallt war und in einer Art Krankenwagen gefahren wurde. Sie lag allein in dem Transportabteil, aber wenn sie den Kopf hob, sah sie ein Fensterchen mit Vorhang, hinter dem sich die Fahrerkabine befinden musste. Nach langem Bemühen, ihren körperlichen Zustand etwas zu erleichtern, gelang es ihr, den rechten Unterarm frei zu bekommen. Größe und Typ des Wagens deuteten darauf hin, dass es ein privates Fahrzeug war. Brachten sie sie in ein Krankenhaus oder eine Klinik? Bei dem Gedanken wurde ihr eiskalt. Was hatten sie mit ihr an einem solchen Ort vor?
Das Wagenfenster auf der rechten Seite war mit einer Jalousie verschlossen. Die Schnur lag außer Reichweite, aber mit frischer Kraft reckte und drehte sie sich so lange, bis ihre Finger sie erreichten und daran ziehen konnten. Sie zog die Jalousie gerade so weit hoch, um durch den Schlitz hinausschauen zu können. Der Wagen drosselte gerade das Tempo.
Sie erblickte ein Stück Straße, an deren Rand alte Autos parkten. In der Gegenrichtung ratterte ein Eselskarren vorbei, dann kamen sie an einer Reihe fremdartiger Geschäfte vorüber. Über einem konnte sie das Wort
Macelarie
entziffern. Sie hatte keine Vorstellung, welche Sprache das sein sollte. Die Häuser blieben zurück, und der Wagen bog in einen schmalen Weg ein, der von dunklen, unter der Last des Schnees gebeugten Bäumen gesäumt war.
Sie ließ die Jalousie wieder herunter. Zwar hätte sie gerne noch etwas hinausgeschaut, aber das Risiko, dass ihre Entführer es entdeckten, war zu groß. Widerwillig legte sie den Unterarm wieder unter den Riemen und ließ den Kopf auf die Trage sinken.
Eines wusste sie nun: Sie war nicht mehr in England.
Als Ethan das Haus erreichte, zogen gerade frische Schneewolken auf und warfen ihre Last über den froststarren Feldern ab. Er hatte seinen Schlüssel nicht mehr und fürchtete einen Augenblick lang, er würde nicht ins Haus gelangen. Er hatte keine Ahnung, welche Tageszeit war, ja, nicht einmal, ob er nur ein paar Stunden, einen Tag oder gar zwei in dem Totenhaus gelegen hatte. Dann stellte er sich vor, der Schöne und das Tier könnten sich noch drinnen aufhalten.
Aber als er um die Ecke zur Frontseite des Hauses bog, erblickte er mehrere geparkte Wagen, davon einige Polizeifahrzeuge. Sie waren wohl immer noch bei der Spurensicherung, dachte er erleichtert. Er trat an den jungen Polizisten heran, der an der Tür postiert war.
»Ich bin Detective Chief Inspector Usherwood«, sagte er. »Ich habe hier zu tun.«
Es stellte sich heraus, dass er tatsächlich nur ein
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