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Die zweite Kreuzigung

Die zweite Kreuzigung

Titel: Die zweite Kreuzigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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von unten und von den Seiten erfassten. Dabei ertönte aus dem Sarg ein klapperndes Geräusch. Erneut zog er sich zurück und wartete ab, dass das Feuer sich tiefer in die Türbohlen hineinfraß.
    Das Taschentuch fest gegen das Gesicht gepresst, stürzte er noch einmal vor und trat mit aller Kraft gegen die verkohlte Tür. Als er sich gerade wieder zurückziehen wollte, spürte er, dass etwas nachgab und dass sein Fuß durch eine Öffnung ins Freie fuhr. Dabei riss er sich schmerzhaft den Knöchel auf. Als er hinunterschaute, erblickte er etwas Wunderbares: Von außen fiel ein breiter Sonnenstrahl in die Grabstätte herein. Der Rauch, der endlich einen Ausweg gefunden hatte, drang durch die Öffnung und verdunkelte das Licht. Nun zog sich Ethan so weit zurück, wie er konnte, und sah zu, wie die Flammen ihr Werk verrichteten. Wieder rannte er auf die Tür zu und erweiterte das Loch mit neuen Fußtritten, damit mehr Rauch entwich. Als die Tür lichterloh brannte, verlegte sich Ethan aufs Warten. Seine Lunge musste schon völlig versengt sein, soglaubte er, seine Augen waren so rot und geschwollen, dass er sie kaum noch öffnen konnte. Als er sie wieder einmal einen Spalt öffnete, sah er, dass die Flammen bereits um die Mitte der Tür züngelten, wo sich das Schloss befand. Wenn er es zu früh attackierte, konnte es misslingen, und er starb an einer Rauchvergiftung. Doch ihm blieb nicht mehr viel Zeit zum Warten. Er zögerte noch einen Moment, dann warf er sich, die rechte Schulter vorgestreckt, mit seinem ganzen Gewicht gegen die Tür. Er schrie auf vor Schmerz, als er gegen sie prallte, aber sie gab etwas nach. Er versuchte es noch einmal mit der Kraft der Verzweiflung, und ein drittes Mal. Da barst das Holz, das Schloss sprang auf, die Tür gab nach, und er stürzte Hals über Kopf ins Freie. Hustend, schnaufend und blutend rutschte er die Stufen des Mausoleums hinunter in den tiefen Schnee. Dort lag er weinend im Sonnenlicht und sog gierig die frische Luft ein, die wie der köstlichste Wein schmeckte. Ihm wurde schwarz vor Augen und eine tiefe bleierne Erschöpfung legte sich über ihn. Doch er wusste, dass Schnee und Luft ihn genauso rasch töten konnten wie Rauch oder Hunger. Mit übermenschlicher Anstrengung kam er nach einer Weile auf die Beine und schleppte sich über das schier endlose Schneefeld in Richtung des Hauses.

NEUNTES KAPITEL
Zwischen Himmel und Hölle
    Der Gedanke an die Hölle mit Reihen aufgestellter Särge ließ Sarah keinen Augenblick los. Sie konnte sich einfach nicht von dem Anblick des Mausoleums voller Spinnweben befreien, der Grabstätten, der finalen Dunkelheit in jenem stickigen Raum. Es gelang ihr nicht, den Gedanken daran zu unterdrücken, was Ethan dort geschehen war. Dieser Schlag auf den Kopf, das dumpfe Geräusch, als die Tür des Totenhauses zugeschlagen wurde, das Knirschen, als der Schöne den Schlüssel im Schloss drehte. Was sie hatte erleben müssen und vielleicht noch erleben musste, war nichts gegen Ethans schreckliches Schicksal. Vielleicht hatte der Schlag ihn ja getötet, und das wäre noch die beste Lösung, dachte sie bei sich. Aber sie kam nicht von der Vorstellung los, wie er in der Finsternis erwachte, begriff, wo er sich befand, wie er langsam und qualvoll sterben würde, vielleicht gar den Verstand verlor, bevor es mit ihm zu Ende ging.
    Ein Schauer überlief sie. Sie drehte sich etwas, um den Schmerz in ihren Beinen zu lindern, aber er wurde dadurch nur noch schlimmer, und sie musste ihre ursprüngliche Position wieder einnehmen. Der Deutsche hatte ihr eine Spritze gegeben, als sie ihre Aktion im Gartenhäuschen beendet hatten, und ihr war schwarz vor Augen geworden. Dann kamen die Träume, Alpträume, ja, mehr als das, eine Art Hölle ohne Flammen, ein Gang durch eine Unterwelt von Furcht und Elend. Als sie daraus erwachte, fand sie sich an eine Art schmaler Holztafel gefesselt. Je wacher siewurde, desto mehr schmerzte ihr Körper und die Erinnerung kehrte zurück, vor der es kein Entrinnen gab.
    Die Wirkung des Mittels, das sie ihr gegeben hatten, verflog, aber die Nachwirkungen blieben. In ihrem Kopf hämmerte es, ihr Hirn fühlte sich an, als hätte ein Meisterkoch es in dünne Scheiben geschnitten, ihre Haut juckte, als tanzten zehntausend Spinnen der Hölle darauf eine Tarantella, ihr Magen rebellierte, als hätte man ihr mit Gewalt vergifteten Wein eingeflößt.
    Aber keine dieser Beschwerden quälte sie auch nur halb so sehr wie die Schmerzen und das

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