Die zweite Kreuzigung
zu sein. Dazu einige Fälle von Totschlag.«
»Und das Ergebnis?«
»In den Mordfällen fünfzehn Mal Freispruch.«
Ethan maß ihn mit einem überraschten Blick. Er dachte scharf nach.
»Sehr gut«, sagte er. »Hervorragend, um ehrlich zu sein. Und Sie werden mich auch in der Hauptverhandlung vertreten?«
Clavering nickte.
»So ist es vorgesehen. Vielleicht sollte ich erwähnen, dass Ihr Vater mich gebeten hat, den Fall zu übernehmen. Ich habe in der Vergangenheit mehrfach für seine Leute gearbeitet. Er wartet draußen.«
»Glauben Sie, dass ich auf Kaution freikomme?«
Clavering antwortete nicht sofort. Offenbar hatte er darüber noch nicht nachgedacht.
»Es wird nicht einfach werden. Die Anschuldigungen sind schwerwiegend – Mord in drei Fällen. Aber Sie sind Polizist mit untadeliger Vergangenheit. Ich werde dort vor allem darauf hinweisen, dass Sie am besten wissen müssen, wie man Spuren verwischt. Wenn einer wie Sie Fingerabdrücke oder DNA-Spuren hinterlässt, dann ist das ein so elementarer Fehler, als hätten Sie sich selber ans Messer liefern wollen.«
Ethan wies ihn auf den Widerspruch bei der blutbefleckten Kleidung hin, worauf der Anwalt nickte und ihn nachdenklich anblickte. Aber da kam schon der Gerichtsdienerund geleitete den Anwalt in den Saal. Ethan wurde durch eine andere Tür direkt zur Anklagebank geführt.
Die Anhörung dauerte nur zehn Minuten. Der Auftritt des Anwalts war oscarverdächtig. Er dominierte die Szene. Kein Versprecher, kein Suchen in Papieren, in die er nicht ein einziges Mal schaute. Die dünnen Beweise nahm er komplett auseinander. Dies war noch keine Verhandlung, aber wäre sie es gewesen, dann hätten selbst die begriffsstutzigsten Männer und Frauen unter den Geschworenen Ethan freigesprochen. Im Unterschied dazu machte Bob Forbes einen unsicheren und bedrückten Eindruck, weil er gegen einen Kollegen und Vorgesetzten aussagen musste.
Den entscheidenden Umschwung zu Ethans Gunsten bewirkten jedoch zwei Zufälle. Der Vorsitzende Richter hatte gerade erst seine Ausbildung beendet und erwartete an diesem Morgen ein paar läppische Verkehrsdelikte. Außerdem war der erfahrene Gerichtsbeamte, der ihm zur Seite zu stehen hatte, wegen der Schneefälle nicht erschienen. Seine Stelle nahm eine junge Frau ein, die von den dicken Folianten auf ihrem Tisch geradezu eingeschüchtert schien. Clavering hatte alle einschlägigen Bestimmungen im Kopf, und während sie noch in ihren Bänden blätterte, erläuterte er dem Gericht die Vertracktheiten des Kautionsrechts.
Ethan verließ das Gerichtsgebäude für eine Kaution von 50 000 Pfund, mit der Auflage, in einem Monat erneut vor dem Richter zu erscheinen. Sein Vater empfing ihn draußen und drückte ihm fest die Hand.
»Ich weiß, Ethan, dass du das nicht getan hast. Keine Sorge, Clavering haut dich da raus.«
»So einfach ist das nicht, Dad. Wenn die Anklage einen erstklassigen Staatsanwalt betraut, dann könnte auch ClaveringSchwierigkeiten bekommen. Aber erst einmal muss ich Sarah finden.«
»Sarah? Ich dachte, die wäre schon wieder in Oxford.«
Ethan berichtete ihm, was geschehen war.
»Und was willst du jetzt tun?«, fragte sein Vater.
»Ich weiß es noch nicht. Aber wenn sie am Leben ist, dann muss man etwas tun. Wenn ich jemanden überzeugen könnte, nach ihr zu suchen, dann wäre das schon etwas.«
In einem kleinen Café in der Nähe nahmen sie ein spätes Frühstück ein. Wegen der verschneiten Straßen kam kaum jemand ins Stadtzentrum, und der Gastraum war fast leer. Sie behielten die Mäntel an, wärmten ihre Hände an den heißen Kaffeetassen und knabberten an kleinen Grumpets mit Butter und Marnite.
»Dad, sie werden versuchen, die Kaution rückgängig zu machen. Wenn die Story in die Presse kommt, was spätestens heute Abend der Fall sein wird, dann geht das Geschrei los, wie man einen Massenmörder laufenlassen kann. Im Innenministerium bricht Panik aus, Abgeordnete beschweren sich im Parlament, die Boulevardpresse schreit nach meinem Blut, und ich bin schneller wieder drin, als du Clavering auf dem Handy erreichst.«
»Was für einen Sinn hatte es dann, dich herauszuholen?«
»Darüber habe ich mir die ganze Nacht den Kopf zerbrochen, Dad. Ich möchte, dass du Folgendes für mich erledigst.«
Die Spurensicherung war bereits in Ethans Stadtwohnung gewesen und hatte alles mitgenommen, was von Interesse sein konnte, darunter auch seinen Computer. Er musstejede Menge Papiere unterschreiben und
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