Die zweite Kreuzigung
Dreistigkeit besaß, konnte er sogar im Vatikan vorstellig werden und diesen mit der Drohung zu erpressen suchen, die Reliquien zu zerstören, wenn er nicht den geforderten Preis erhielt.
So oder so war Sarah dem Tod geweiht, da gab es keinen Zweifel. Aehrenthal konnte sie nicht freilassen, weil dann die Gefahr bestand, dass herauskam, was er getan hatte. Wenn man aber Ethan für die Morde verurteilte, dann konnte Aehrenthal seinen Ruf mit etwas Geld wieder aufpolierenund eine Auktion veranstalten, die ihn für sein ganzes Leben saniert hätte.
Ethan gab den Namen »Aehrenthal« bei Google ein und erhielt Dutzende Hinweise auf Alois Lexa Graf von Aehrenthal, den skrupellosen Außenminister von Österreich-Ungarn, der den Anschluss von Bosnien-Herzegowina zustande gebracht und damit beigetragen hatte, Europa in den Ersten Weltkrieg zu stürzen. Ethan fragte sich, ob dieser Graf Aehrenthal zu Egons Vorfahren gehörte, ob er vielleicht ihm den Hang zum österreich-ungarischen Adel und dessen prächtigen Palästen verdankte.
Als er die Suche durch den Vornamen »Egon« eingrenzte, folgten Hinweise auf den Antiquitätenhandel, auf biblische Archäologie und auf einen Fußballclub in Bernstein, dem Egon als Teenager angehört hatte. Der merkwürdigste Link war die Website des Weltluftsportverbandes, wo Egon als einer von vielen österreichischen Piloten aufgeführt war, dem die Organisation für Verdienste an diesem Sport das Paul-Tissandier-Diplom verliehen hatte. Wann hatte Egon wohl fliegen gelernt? Ob er noch einen Pilotenschein besaß? Hatte er Zugang zu einer Maschine, einer eigenen oder gemieteten?
Ethan suchte weiter. Wenn Aehrenthal einen gültigen Pilotenschein besaß, dann war es höchstwahrscheinlich ein JAA-PPL der Zivilluftfahrtbehörde Österreichs. Er begann seine Suche mit der Website der Obersten Zivilluftfahrtbehörde, von wo er zum Österreichischen Flugzeughalter- und Pilotenverband weitergeleitet wurde. Aber an die Listen der Mitglieder oder der Besitzer von Pilotenscheinen kam er nicht heran. Es sei denn …
Er lehnte sich zurück. Sein Kaffee war kalt geworden, und der Kuchen lag angebissen da. Er schaute auf die Uhr.Er hatte bereits über zwei Stunden hier verbracht. Länger durfte er nicht bleiben. Wenn er das Land verlassen wollte, musste er bis zum Abend fertig sein.
Vier Stunden lang zerbrach er sich nun schon den Kopf. Aehrenthal hatte Sarah nicht aus einer Laune heraus entführt. Im Augenblick brauchte er sie offenbar. Er konnte ein Hotel oder eine Mietwohnung als Stützpunkt gewählt haben, einen Ort, um potentielle Käufer einzuladen. Wenn er sich überhaupt noch in Großbritannien aufhielt, dann war er nur mit einer Großfahndung zu fassen.
Er konnte aber auch geplant haben, sie außer Landes zu bringen. Die Frage war nur: Auf welche Weise? Hier glaubte er die Antwort zu kennen. Man würde sie unter Drogen setzen, ihr Gesicht verbinden und sie mit einem Sanitätsflugzeug über die Grenze schaffen. Vielleicht nach Österreich. Nicht nach Jerusalem. Die israelischen Sicherheitsvorkehrungen waren dafür viel zu streng.
Er zückte sein Handy und rief das Telefonverzeichnis auf.
Sie hieß Lindita. Lindita Cobaj. In einem dunkelgrünen Anorak mit Kaninchenfellbesatz rauschte sie in das Café. Ihr grün und pink gefärbtes Haar stand ihr punkig vom Kopf ab, und mit ihren Ohren, Lippen und Nase hätte sie keinen Metalldetektor passieren können. Wenn er sich richtig erinnerte, musste sie etwa zweiunddreißig sein, er hatte aber auch schon erlebt, dass sie wie fünfundzwanzig oder wie vierzig wirkte. Ihr Gesicht und ihre Figur waren von der Art, der weder Alter noch Schmerz etwas anhaben können. Weder schön noch hässlich, weder dünn noch dick, weder Kind noch Erwachsene spottete sie allen Klischees, Kategorienund Erwartungen. Er hatte sie sechs oder sieben Mal festgenommen, gegen sie vor Gericht ausgesagt, sie nicht ausstehen können. Heute noch schwankte er heftig zwischen Zu- und Abneigung. Als sie seiner ansichtig wurde, grinste sie breit.
»Mann, Usherwood, dich habe ich ja Ewigkeiten nicht gesehen. Bisschen eingeschrumpft, was?«
Er zuckte die Schultern. Sie ebenfalls. Eine halb gerauchte Zigarette hing aus ihrem Mundwinkel. Als sie den Blick des Mannes an der Theke sah, nahm sie sie heraus, drückte sie aus und steckte sich den Rest hinters Ohr.
»Kein Verschwendung, kein Nachfrage.«
Ethan musste schmunzeln. Ihr Englisch war nicht besser geworden.
»Setz dich,
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