Die zweite Kreuzigung
kluge Augen und trug eine randlose Brille. Wahrscheinlich war er ein ziemlich langweiliger Kerl, der nichts anderes im Leben kannte als das Recht, dazu hin und wieder einen Kirchgang und ein Glas Sherry, um dem Dasein ein wenig Würze zu verleihen. Genau diesen Eindruck wollte er erwecken, und bei Ethan gelang ihm das auch.
Aber Mr. Markham war kein Anwalt in Strafsachen wie auch sonst niemand in der hochgeschätzten Familienkanzlei Markham und Pritchett. Als er Ethan in der Zelle des Polizeipräsidiums aufsuchte, wo er bis zum Termin beim Haftrichter am nächsten Tag festgehalten wurde, erklärte er ihm dies und fügte hinzu, gute Strafverteidiger mit Erfahrung in Mordfällen seien in Gloucestershire sehr dünn gesät.
»Aber ich lasse mir etwas einfallen«, sagte er dann und zwinkerte Ethan zu, als säße der wegen einer läppischen Ordnungswidrigkeit hinter Gittern.
»Ich muss hier raus«, sagte Ethan.
»Raus? Daraus wird wohl nichts werden. Nicht vor dem Termin beim Haftrichter.«
»Auf Kaution. Unbedingt.«
»Ethan – wenn ich Sie so nennen darf –, das will jeder. In der Regel ist das auch nicht schwer, wie Sie sicher wissen. Aber bei diesen Anschuldigungen … Die sind, wenn ich das sagen darf, ja geradezu ungeheuerlich. Als Ihr Anwalt vertraue ich natürlich darauf, dass Sie in der Sache unschuldig sind. Leider sieht das der Richter vielleicht nicht so.«
»Man hat mich reingelegt«, sagte Ethan. »Wenn ich hier eingesperrt bleibe, dann kann ich nichts tun, um meine Unschuld zu beweisen. Ich kenne Willis, Forbes und all die anderen. Ich weiß, was sie machen, wenn sie glauben, sie haben einen wasserdichten Fall. Sie stellen die Ermittlungen in allen anderen Richtungen sofort ein und konzentrieren sich darauf, eine Verurteilung zu erreichen.«
»Das nehmen wir uns vor, wenn die Sache vor Gericht geht. Sie werden einen Anwalt haben, möglicherweise einen Kronanwalt. Sie können sich doch den besten leisten.«
Markhams Mandanten waren allesamt gutbetuchte Leute, und Ethan glaubte zu erkennen, dass der Anwalt den Ernst seiner Lage unterschätzte, was von der etwas herablassenden Annahme herrührte, mit Geld und Stellung könne man jedermanns Unschuld beweisen.
»Wenn ich recht habe«, sagte Ethan, »ist Sarah nicht ermordet worden. Wahrscheinlich hat man sie entführt.«
»Aber ich kann nicht feststellen …«
»Die Kerle haben einfach übertrieben, sehen Sie das nicht? Wenn sie sie ermordet haben, weshalb sie dann nackt ausziehen? Wenn sie ihr einen Messerstich ins Herz versetzt haben, weshalb ist dann Blut am Slip? Das passt doch alles nicht zusammen. Würde ich die Ermittlungen leiten, so würde jetzt ein großer Trupp von Leuten nach ihr suchen.«
»Na schön«, sagte der Anwalt. »Ich will sehen, was sich machen lässt.«
Am nächsten Morgen hielt er für Ethan eine Überraschung bereit. Der Erbe von Woodmancote Hall hatte eine miserable Nacht in der Zelle verbracht, wo man ihn mit einer Mischung aus Verwirrung und Verachtung behandelte. Er war als Polizist beliebt gewesen, aber die Geschichten, die man sich jetzt über ihn erzählte, hatten seinem Ruf arg geschadet. Darin erschien er nicht einfach als Mörder, sondern als ein Serienkiller, der seine Opfer brutal gefoltert haben sollte, bis er sie auf bizarre, ja geradezu gotteslästerliche Weise umbrachte.
Der Polizeidirektor hatte angeordnet, dass man der Presse über diese Verhaftung nur das Allernötigste mitteilte. Ins Amtsgericht von Gloucester wurde Ethan durch den Diensteingang in einen kleinen Verhandlungsraum gebracht, der in der Regel nur für unbedeutende Fälle benutzt wurde. Dort begrüßte ihn Markhams Partnerin Brenda Pritchett. Sie stellte sich zunächst selbst und dann einen hochgewachsenen dunkelhaarigen Mann in teurem Anzug und weicher Seidenkrawatte vor.
»Ethan, das ist Myles Clavering. Myles ist Anwalt mit langjähriger Erfahrung in Strafsachen, darunter Mordfällen.«
Ethan schüttelte ihm die Hand.
»Bei Gericht habe ich Sie aber noch nicht gesehen«, sagte er.
Clavering zeigte ein Lächeln. Darin war Wärme zu spüren, nicht nur reine Höflichkeit. Damit nahm er Ethan sofort für sich ein. Oder lag es daran, dass er in seiner verzweifelten Lage einfach an jemanden glauben musste? Darüber war er sich nicht klar.
»Das liegt sicher daran, dass ich hier so gut wie nicht tätig werde. Ich arbeite fast nur in London.«
»Und Sie haben schon Angeklagte in Mordfällen vertreten?«
»In fünfzehn Fällen, um genau
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