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Die zweite Kreuzigung

Die zweite Kreuzigung

Titel: Die zweite Kreuzigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Vergewaltigungen, worauf sie in tiefe Verzweiflung stürzte und gleich darauf in Euphorie über ihre Rettung verfiel. Mit Ethan sprach sie jetzt öfter, jedoch nicht in ihren schwärzesten Augenblicken. Wenn sie sich in Schweigen hüllte und auf gar nichts mehr reagierte, sprach er zu ihr. Er redete über alles und nichts, erzählte ihr alte Familiengeschichten, die ihr ein seltenes Lachen entlockten, oder Begebenheitenaus seiner Polizeiarbeit. Dabei achtete er streng darauf, schwere Verbrechen wie Raub, Mord oder Vergewaltigung beiseitezulassen. Es blieb immer noch genügend Unterhaltsames übrig. Er erzählte ihr von dem Mann um die vierzig, auf den er als Streifenpolizist einmal am Stadtrand gestoßen war, als der ein Lied für sein Pferd sang. Über die Vorstellung musste sie lachen, und er nahm ihre Hand. Sie schenkte ihm ein kleines Lächeln. Aber schon Sekunden später zog sie sich wieder in ihr Schneckenhaus zurück.
    Eines Tages erwachte Sarah aus unruhigem Schlaf, in dem sie mehr als sonst gewimmert hatte, riss die Augen auf und sagte, als sie Ethan erblickte, mit leiser Stimme, aber überdeutlich: »Wir sind in großer Gefahr. Wir alle. Du musst ihn stoppen.«
    Gleich darauf sank sie zurück in tiefen Schlaf. Als sie später erwachte und ganz zu sich kam, wusste sie nicht mehr, was sie gesagt hatte. Ethan drängte sie nicht. Aber ihr Blick war wieder trübe, und er spürte, dass eine Erinnerung an die Szene geblieben war. Sarah wusste etwas, da war er sicher, etwas, das sie alle bedrohte, wen immer sie damit meinte.
    Einige Tage später geschah das Gleiche noch einmal. Sie sprach von großer Gefahr, großem Leid, einem uralten Übel, Marschkolonnen an einer Kultstätte, Fahnen, blankgeputzten Stiefeln. Diesmal sprach sie länger, und erneut sank sie in den Schlaf zurück. Vielleicht, so dachte Ethan, redete sie nur im Delirium. Aber er spürte ihre Furcht, und sie schien ihm real zu sein.
    In dieser Nacht rief sie von ihrem Bett her laut nach ihm, und er stürzte zu ihr, um ihr beizustehen. Ihre Stimme zitterte, als glaube sie sich von Wölfen oder einem Wespenschwarm verfolgt. Er nahm ihre rechte Hand und hieltsie fest, damit sie wieder einschlafen konnte, aber diesmal blieb sie wach.
    »Mach Licht, Ethan.«
    Er suchte nach der Petroleumlampe und Streichhölzern. Es dauerte ein Weilchen, bis der Docht entzündet war. Als er den Glasschirm wieder aufgesetzt hatte, erfüllte ein fahles Licht den kleinen Raum. Sarah saß aufrecht im Bett. Schweißperlen standen ihr auf der Stirn, und das Haar klebte ihr im Gesicht. Er strich es zurück und setzte sich auf die Bettkante. Ihre Hände zitterten. Er nahm sie in die seinen, damit sie sich beruhigte. Wie sehr wünschte er sich, er könnte sie einfach in die Arme nehmen und so lange halten, bis ihre Angst verflogen war.
    »Wir müssen reden, Ethan.« Sie schien plötzlich klarer zu sehen als er selbst. Ihre Augen waren wach, nicht trübe und abwesend wie bisher.
    »Gut. Ich höre dir zu.«
    In der endlosen Stille des Waldes beschrieb sie ihm mit leiser Stimme das Unheimliche, das sie selbst bisher nur vage begriff.
    »Unterschätze Aehrenthal nicht«, sagte sie. »Er mag sich mit Gangstern umgeben, aber er selber ist keiner. Als er glaubte, ich sei genügend weichgeklopft, hat er mich einmal aufgesucht. Dieses Mal rührte er mich nicht an, schlug mich nicht und drohte mir auch nicht. Er wollte nur reden. Meist über sich selbst. Er ist ein intelligenter Mann, hat allerdings nie studiert und sieht daher in mir eine Art Wunder. Er hat seine Hausaufgaben gemacht und weiß eine Menge über mich. Damals sagte er mir, weshalb er gerade mich entführt hat.«
    Sie seufzte tief auf. Er konnte spüren, wie ihre Hand zitterte, und er drückte sie sanft.
    »Er ist überzeugt, ich wüsste, wie man an diesen Ort in Libyen gelangen kann, wo Urgroßvater seine Funde gemacht hat. Ich glaube, ihm genügt nicht, dass er sie jetzt in der Hand hat. Er will mit eigenen Augen sehen, wo sie gefunden wurden. Er glaubt wohl zu wissen, dass dort noch mehr ist, etwas noch Wertvolleres als diese Sachen.«
    »Die Gräber.«
    Sie nickte.
    »Danach hat er mich gefragt, aber ich habe gesagt, davon wüsste ich nichts.«
    »Das wäre der größte Fund von Altertümern, der je in der Geschichte gemacht wurde«, warf Ethan ein. »Er hat offenbar keine Ahnung, was dort tatsächlich noch liegt. Er würde in der Tat weltberühmt, wenn er mit Erfolg eine Expedition nach Wardabaha führen könnte.«
    Sie

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