Die zweite Kreuzigung
Stimme übersetzte.
»Er sagt, er tötet sie, er bricht ihr das Genick. Wenn Sie die Waffe jetzt nicht herunternehmen, tut er es. Ethan, er meint es ernst.«
Aber Lukács tötete Sarah nicht. Dazu hatte er keine Gelegenheit mehr. Sarah erstach ihn, leicht und im nächsten Augenblick. Das lange Bajonett ihres ersten Peinigers war direkt neben ihr zu Boden gefallen. Danach hatte sie es an sich genommen. Als Lukács sie packte und Ilona seine Drohung zubrüllte, griff Sarah das Messer mit beiden Händen und rammte es ihm von unten in die Kehle. Das tat sie so heftig, dass die Klinge ihm durchs Gehirn fuhr und amHinterkopf austrat. Die Beine knickten ihm ein, und wie ein geschlachteter Ochse klatschte er auf die Stufen. Alles Menschliche war von ihm gewichen. Die beiden Männer, die Lukács gefolgt waren, wagten keinen Angriff mehr, sondern flohen Hals über Kopf in die Tiefe des Schlosses.
Ethan trat zu Sarah. Sie ließ die Waffe fallen. Sie war fertig mit alledem, mit den Männern, die sie hierhergebracht und ihr solche Gewalt angetan hatten.
»Bring mich fort von hier, Ethan«, sagte sie. »Bring mich nach Hause.«
SIEBZEHNTES KAPITEL
Dracula
Sâncraiu
Früh am Morgen
Ilona führte sie durch die kalte Nacht zurück. Ohne ihre dicke Jacke zitterte sie neben Sarah in der Dunkelheit vor Kälte. Im Wald war rabenschwarze Nacht. Die Zweige der riesigen Bäume waren so dicht miteinander verwoben, dass kein Lichtstrahl von Mond oder Sternen hier hereinfiel. Wieder hörten sie Wölfe heulen, nahe genug, dass sie jeden Augenblick hinter ihnen auftauchen konnten.
Sarah hatte keine Kraft mehr, und aus ihrer Angst wurde Panik, als sie durch den Wald stolperten. Mehrmals knickten ihr die Beine ein. Ethan und Ilona hielten sie abwechselnd aufrecht und stützten sie, damit sie überhaupt gehen konnte.
»Lasst mich hier zurück«, sagte sie immer wieder. »Mir passiert schon nichts. Ich will mich nur hinlegen und ein wenig schlafen. Das wäre doch besser, meint ihr nicht?«
Ethan erklärte ihr, wenn sie einschlafe, werde sie erfrieren. An ihrer Reaktion sah er, dass sie genau das wollte.
Mit ihren Lampen fanden sie auf einen Pfad. Nach und nach verebbte das Heulen der Wölfe. Schließlich wich Ilona von dem Pfad ab und führte sie einen Abhang hinunter. Hier fiel allen das Gehen noch schwerer, aber Ilona blieb fest. Ethan hatte jedes Zeitgefühl verloren. Er war sicher, Sarah wusste nicht, wo sie war und wie lange sie in Gefangenschaft verbracht hatte.
Schließlich erreichten sie eine kleine Jagdhütte. Die Tür stand offen, und drinnen war es so kalt wie draußen.
»Hier sind wir sicher«, sagte Ilona. »Hier findet uns niemand.«
»Und unsere Freunde im Schloss?«, fragte Ethan.
»Vorerst nicht«, sagte sie. »Vielleicht später, wenn ihnen klar wird, dass Sie noch nicht durch Sâncraiu gekommen sind. Machen Sie sich darüber keine Sorgen. Ich rede mit einigen Leuten im Ort. Wenn jemand kommt und Fragen stellt, dann werden sie alle schwören, Sie und eine merkwürdige junge Frau seien heute Morgen in Sâncraiu gewesen und nach Bukarest weitergefahren.«
Nachdem sie die Fensterläden fest geschlossen und die Tür verbarrikadiert hatte, steckte Ilona mehrere Öllampen an, legte Holzscheite auf einen großen offenen Rost und brachte sie mit getrocknetem Moos zum Brennen. Das Kiefernholz zischte und knisterte eine Weile und wurde dann von den Flammen erfasst. Das Zischen hielt noch lange an, aber das Feuer gewann an Kraft. Ethan half Sarah, sich auf einem Hocker am Feuer einzurichten, wo er sie in Decken aus dem kleinen Schlafraum hüllte und ihr kräftig die Hände rieb. Inzwischen bereitete Ilona etwas zu essen. Die Hütte hatte einen kleinen eisernen Ofen, in dem ebenfalls bald ein lustiges Feuer prasselte.
»Ich fürchte, hier gibt es nur ein paar Konserven und getrocknete Lebensmittel«, teilte Ilona mit. »Jeder trägt etwas bei, damit für Notfälle etwas vorhanden ist. Das weiß man, wenn man sich hier im Wald bewegt.«
Konserviert oder getrocknet – das war ihnen gleich. Der Vorratsschrank war gut gefüllt. Ilona goss Wasser in einen Topf und setzte ihn auf den Ofen. Aus dem Schrank holte sie Tütensuppen von Knorr, ein Päckchen mit
ciolan afumat,
das sie als »Räucherschinken mit Knochen« bezeichnete, mehrere Büchsen Erbsen mit Schinken, eine mit Rindergulasch und zwei mit Würstchen und grünen Bohnen. Ethan konnte sich gut vorstellen, wie transsilvanische Jäger diese herzhaften Sachen
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