Die zweite Kreuzigung
sein. Was den Arabern in über sechzig Jahren nicht gelungen ist, werden wir in Minuten erledigen. Zweifelt ihr daran? Könnt ihr daran zweifeln? Wenn ja, dann seid ihr nicht meine Freunde, sondern Verräter an unserer gemeinsamen Sache.
Warum erhebe ich diesen Anspruch? Weil ich ein Prophet bin? Das habe ich nie behauptet. Weil Gott mir besondere Einsicht geschenkt hat? Das glaube ich nicht. Weil ein Engel gekommen ist und es mir ins Ohr geflüstert hat? Solche Anwandlungen habe ich nicht.
Ich erkläre es heute, weil große Dinge geschehen sind und uns noch größere erwarten. Ich habe die Lanze des Longinus in meinem Besitz. Keine Fälschung. Kein Produkt des Mittelalters. Die echte Reliquie. Dazu den Gral, den Christi Lippen berührt haben. Ich besitze die Dornenkrone. Den
Titulus.
Die Nägel.
Aber das ist noch nicht alles. Einer meiner Vertrauten ist gerade aus England zurückgekehrt, wo er ein Heft gefunden hat, das Angaben über den Ort enthält, wo Christus begraben ist und wo seine Gebeine bis zum heutigen Tage liegen.
Es wird Zeit, dass wir uns zur Tat rüsten. Die Führer, die sich in der Wolfshöhle versammelt haben, kehren jetzt zu euch zurück, um Vorkehrungen für Phase Eins zu treffen. Einer wird die fünf Reliquien bei sich führen, damit ihr sie sehen und berühren könnt. Sie werden von Ort zu Ort getragen werden, damit alle an ihrer Kraft teilhaben. Inzwischen begebe ich mich an den Ort der Grabstätte. Ich werde mit den Gebeinen Christi und seiner Familie zurückkehren.
Das ist unser Schicksal. Unser Kampf. Unsere Auferstehung. Eine neue Ordnung wird sich aus der Asche der alten erheben, und wir werden sie erleben. Die Schatten der alten Welt lösen sich auf, und bald wird für alle kommenden Generationen die Sonne scheinen.
Sieg Heil!
Großmeister Egon von Aehrenthal
VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL
Blutende Liebe
»Wenn ich ehrlich sein soll«, sagte Gavril, »dann kann unsere kleine Truppe nicht viel tun, wenn Aehrenthal offen gegen uns antritt.«
Der Mönch war im Wesentlichen an der Amerikanischen Internationalen Schule in Bukarest ausgebildet worden, wo er einen amerikanischen Akzent und amerikanische Manieren angenommen hatte. Sein Kopf steckte voller amerikanischer Informationen von Baseballergebnissen bis zu den Filmen von Bruce Willis. Aber Ethan hatte auch gesehen, wie er mit seinen Mönchsbrüdern Rumänisch sprach. Er war ein hochgewachsener Mann. An seinem Körper gab es kein Gran Fett, er hatte ausgemergelte, asketische Gesichtszüge, und seine Blicke schienen aus einer anderen Welt zu kommen. Wenn er sprach, strahlten sie große Leidenschaft aus.
Sie saßen in einem kleinen Raum, der während der Exerzitien für Vorträge genutzt wurde. Die Wände waren lachsfarben gestrichen, und im blassen Licht des Januars wirkte er wie von einem ständigen Glühen erfüllt, als seien die Mauern aus Korallen und sie drei Meereswesen. An einer Wand hing ein grellbunter Kalender, auf dem die wichtigsten kirchlichen Feiertage mit Gelb unterlegt waren.
»Wir sind nur ganze 200 Mann«, fuhr Gavril fort. Sarah saß ihm gegenüber. Lange musterte sie den gestrengen Mönch, dann wanderte ihr Blick zu Ethan hinüber.
»Wir nennen uns Ostea Domnului, die Heerschar des Herrn. Wir haben Waffen, aber wir sind keine richtige Armee.Aehrenthal stellt mit seinen Anhängern eine wesentlich stärkere Streitmacht dar. Wir können nicht hoffen, sie im direkten Kampf zu besiegen. Und so sehr es mich schmerzt, wir können sie auch nicht allein mit der Kraft des Gebets bezwingen. Ich bin Priester, aber ich sehe die Dinge pragmatisch.«
»Was werden sie unternehmen, wenn sie herausbekommen, wo Wardabaha liegt?«
Gavril zuckte die Schultern.
»Sie werden die Gebeine an sich bringen. Zumindest die Gebeine von Jesus. Aber ich gehe davon aus, dass sie an der ganzen Familie interessiert sind. Dann haben sie eine größere Chance, noch Gewebe zu finden, mit dem sie das Klonen beginnen können. Dazu müssen sie hierher zurückkommen. Aehrenthal hat in Bukarest ein Laboratorium. Er hat es vor einigen Jahren gekauft und mit Wissenschaftlern besetzt, die seitdem für ihn arbeiten. Für den Anfang an sehr einfachen Dingen, direkter physischer Zellkernverpflanzung. Aber sie lernen schnell. Inzwischen hat er einige Forscher aus dem Kichijoji Institut in Kyoto angeworben und sie mit dem Geld und allem ausgerüstet, was sie brauchen, um ihre Arbeit in Rumänien fortzusetzen. Sie haben bereits sieben menschliche
Weitere Kostenlose Bücher