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Die zweite Nacht

Die zweite Nacht

Titel: Die zweite Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Rabengut
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Pavillon deutlich hörbar und lächelte dabei friedlich. Der heimatlose Hans blinzelte mich an, bevor er aufstand und seine Hose abklopfte.
    »Judith, Mädchen, dich habe ich ja schon ewig nicht mehr gesehen.«  
    Ich zuckte mit den Schultern und hielt ihm die Einkaufstüten hin. Obwohl ich seinen dankbaren Blick schon sehen konnte, winkte der heimatlose Hans zuerst wieder ab. »Das brauchst du doch nicht machen, Mädchen.«
    Jedes Mal das gleiche Spiel. Ich trat einen Schritt näher und sagte: »Aber ich mache es gern. Und langsam werden meine Arme schwer.«
    Der heimatlose Hans beeilte sich, mir die Tüten abzunehmen und stellte sie sorgsam ab. Dann hockte er sich wieder auf die niedrige Mauer und klopfte neben sich. »Ruh dich aus, Judith.«
    Er hatte mich von Anfang an Judith genannt und irgendwann hatte ich aufgegeben, ihn zu korrigieren. Kennengelernt hatte ich den heimatlosen Hans vor ungefähr drei Jahren. Nachdem ich den ganzen Tag geschrieben hatte, war ich mitten im Winter auf die glorreiche Idee gekommen, noch eine Weile laufen zu gehen. Leider hatte ich Idiotin nicht einmal einen Blick auf die Uhr geworfen, bevor ich losgerannt war. Als ich begann, mich zu wundern, dass es sehr dunkel und sehr ruhig war, hatte ich schon den Stadtpark erreicht.
    Nachher hatte ich festgestellt, dass es bereits nach Mitternacht gewesen war. Der Stadtpark war nicht unbedingt gut beleuchtet und obwohl ich ein mulmiges Gefühl dabei gehabt hatte, hatte ich nicht kneifen, sondern meine Runde beenden wollen.
    Leider waren außer mir noch zwei Männer im Park gewesen, die sich mir in den Weg gestellt hatten. Bevor jedoch überhaupt etwas passiert war – und ich war mir sicher, dass etwas passiert wäre –, war der heimatlose Hans aufgetaucht und hatte einen dicken Ast in seinen Händen geschwungen.  
    Während ich wie angewurzelt auf dem schmalen Weg gestanden hatte, hatten die Männer die Flucht ergriffen. Der heimatlose Hans hatte mich mit einem vorwurfsvollen Blick bedacht und dann mit einem Kopfschütteln gesagt: »Also wirklich, Mädchen, das geht so nicht.«
    Zuerst hatte ich nicht begriffen, dass er ein Obdachloser war. Erst, als er mich aus dem Park begleitete und wir in den Schein einer Straßenlaterne kamen, fiel es mir auf. Schon zu diesem Zeitpunkt hatte er mich konsequent Judith genannt und bevor ich mich richtig bedankt hatte, war er wieder im Park verschwunden.
    Die Nacht über hatte ich schlaflos im Bett gelegen und darüber nachgedacht, wie ich mich angemessen bedanken könnte. Zusätzlich hatte mein überreiztes Gehirn mich für meine Dummheit bestraft und immer wieder Horrorszenarien durchgespielt, was alles hätte passieren können, wenn Hans nicht aufgetaucht wäre. Den Zusatz »heimatlos« hatte ich ihm später verpasst, nachdem er mir seinen Namen verraten hatte.
    Am nächsten Tag war ich das erste Mal für ihn einkaufen gegangen. Damals hatte ich nicht nur Lebensmittel gekauft, sondern auch einen Pullover, eine Jacke und eine Decke. Er war sehr skeptisch gewesen, hatte sich dann aber dazu herabgelassen, die Sachen anzunehmen und mit mir zu reden.
    Seitdem besuchte ich ihn regelmäßig, im Winter öfter als im Sommer. Aber es kam auch durchaus vor, dass er ein paar Wochen verschwunden war. Ich versuchte dann immer, mir nicht zu viele Gedanken zu machen.
    »Sag, Mädchen, was macht das Leben?«, fragte er nun und schälte dabei eine Banane.
    Ich rieb mir über das Gesicht. »Das ist eine verdammt gute Frage.«
    Der heimatlose Hans warf mir einen kritischen Seitenblick zu. Ich vergaß immer, dass er es nicht mochte, wenn ich fluchte. Abschätzend schnalzte er mit der Zunge, bevor er sich wieder der Banane zuwandte.
    »Entschuldige. Die Arbeit läuft gut, aber-« Ich brach ab und suchte nach den richtigen Worten.
    »Aber da ist ein Mann«, vervollständigte er den Satz für mich und verblüffte mich wieder einmal komplett. Ich wusste nur, dass der heimatlose Hans seit Jahren auf der Straße lebte und eine unglaubliche Beobachtungsgabe besaß. Ich hatte zwar versucht, aus ihm herauszubekommen, was er früher gemacht hatte – doch da biss ich auf Granit. Im Grunde blieb mir nichts übrig, als das zu akzeptieren, zumal es mich eigentlich nichts anging.  
    Jedenfalls hatte er mir bei jeder Nachfrage wilde Märchen aufgetischt: Er war bei einem Kreuzzug dabei gewesen, hatte etlichen Hexenverbrennungen beigewohnt und das Richtfest der Sphinx live miterlebt. Außerdem war er in Atlantis nur knapp einer Horde

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