Die zweite Nacht
die Kopfschmerztabletten endlich wirkten. Es war die reinste Wohltat. Mit geschlossenen Augen genoss ich das Gefühl, wie der dumpfe Nebel sich aus meinem Kopf verzog.
Da klopfte es an der Tür; unwillkürlich zuckte ich zusammen. Widerwillig stand ich auf und warf einen Blick durch den Türspion. Wenn man vom Teufel sprach – es war Frederik höchstpersönlich.
Eine ganze Weile erwog ich, einfach nicht zu öffnen. Nervös kaute ich auf meiner Unterlippe. Ich war verkatert und konnte nicht bestreiten, dass Elena und Mo mich mit ihrem Gequatsche beunruhigt hatten.
»Mach auf, Helen.« Frederik klang gut gelaunt. Mit einem Seufzen drehte ich den Schlüssel im Schloss.
Er streckte mir einen Kaffeebecher hin und schob sich dann an mir vorbei in meine Küche. Als ich mich wieder umgedreht hatte, wunderte es mich nicht im Geringsten, dass er bereits auf dem Küchenstuhl saß. »Wie geht es deinem Kopf?«
»Bis gerade gut«, stieß ich genervt hervor und ließ mich ebenfalls auf einen Stuhl sinken. Ich würde mir heute definitiv frei nehmen und die Welt von meiner Couch aus hassen. Frederik würde ich auch hassen – allein, weil er so frisch und wach aussah. Außerdem war er schon unterwegs gewesen und hatte mir Kaffee mitgebracht. Dieser miese Mensch!
»Steht das Angebot mit der Unterwäsche noch?«, erkundigte er sich amüsiert.
Zuerst sah ich ihn nur an, dann nickte ich knapp. »Aber nicht jetzt. Ich fühle mich noch sehr wacklig.«
Ich wartete, dass er darauf einging, was ich gestern Abend für einen Unsinn erzählt hatte, doch er sagte nur ruhig. »Ich bin heute ohnehin schon verabredet. Vielleicht morgen?«
Ich blinzelte langsam. »Verabredet?«
Frederik nahm einen Schluck aus seinem Kaffeebecher. »Ob du es glaubst oder nicht, es soll Leute geben, die sich nicht den ganzen Tag in ihrer Wohnung einschließen.«
Mir lag die Frage auf der Zunge, mit wem er sich traf, doch ich bezwang das Verlangen, nachzuforschen. »Also morgen?«
Zustimmend nickte er, dann nahm er seinen Becher vom Tisch und stand auf. Er würde jetzt wirklich einfach gehen und nicht ein Wort über gestern Abend verlieren? Das kam mir fast verdächtig vor, wenn ich bedachte, wie gern er sonst redete.
Er stand bereits an der Tür und mein Mund plapperte drauf los, bevor mein Gehirn seine panische Warnung hervorstoßen konnte. »Nicht einmal einen Kuss bekomme ich?«
Frederik strich sich eine seiner blonden Strähnen aus der Stirn. »Du willst einen Kuss? Ohne Sex? Bist du sicher, dass es dir gut geht?«
Ich verdrehte die Augen und platzierte mich vor ihm. Weil er nun einmal viel größer war als ich und keinerlei Anstalten machte, mir entgegen zu kommen, legte ich die Hände auf seine Brust und stellte mich auf die Zehenspitzen. Seine Lippen fühlten sich weich an und ich konnte den wohligen Seufzer gerade noch unterdrücken.
Insgeheim hatte ich gehofft, dass der Kuss ihn vielleicht dazu verleiten würde, noch etwas zu bleiben, doch stattdessen zwinkerte er mir zu und schon starrte ich nur noch meine geschlossene Wohnungstür an, durch die er hinaus geschlüpft war.
Nachdem ich ein Nickerchen auf der Couch gehalten hatte, beschloss ich, dass es wieder Zeit für eine gute Tat war. Das Wetter war schön und die frische Luft würde mir vermutlich gut tun; außerdem war Frederik ausgeflogen und würde nicht mitbekommen, was ich tat.
Ich zog mich dem herbstlichen Wetter entsprechend an und steckte nur das Nötigste ein. Niemand in meiner Familie wusste davon, aber manchmal überkam sogar mich das Verlangen ein netter Mensch zu sein – zumal ich mich nicht beklagen konnte, weil es mir relativ gut ging. Ich arbeitete in meinem Traumjob zu meinen Bedingungen und war darin erfolgreich, was mir ein sorgenfreies Leben ermöglichte.
Aber immer, wenn ich sozial interagiert und das Gefühl hatte, mich irgendwie daneben benommen zu haben, leistete ich auf meine Weise Buße.
Schon nach dem etwa zwanzigminütigen Spaziergang zum Supermarkt fühlte ich mich deutlich frischer im Kopf. Die Hände hatte ich in den Taschen meiner Steppweste vergraben und war froh, dass ich mich für den dicken Kapuzenpulli und den zusätzlichen Schal entschieden hatte.
Wie immer kaufte ich eine Menge haltbarer Lebensmittel, die nicht gekühlt werden mussten, Obst und Gemüse und ließ mir mehrere Plastiktüten dafür geben.
Vom Supermarkt aus waren es keine zehn Minuten, bis ich das Rondell im Stadtpark erreicht hatte. Ich näherte mich dem kleinen
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