Die zweite Nacht
nach meinem Mantel und steuerte auf den Ausgang zu.
Auf meiner Flucht stolperte ich genau in Simons Arme, der vor der Tür eine Zigarette rauchte.
»Hey, kannst du mir ein Taxi rufen?«, fragte ich ihn mit einem Lächeln. Ich hatte das »mir« extra betont, damit er gar nicht erst auf irgendwelche Ideen kam.
Meine Frage verschlechterte seine Laune offenbar, aber er war gut erzogen und griff in seine Jackentasche, aus dem er ein Handy zauberte. Über seine Schulter sah ich, wie Frederik in die Halle trat und sich umsah. Unsere Blicke trafen sich durch die große Glasscheibe und er ballte die Hände zu Fäusten.
Das ungute Gefühl in meinem Magen verstärkte sich und ich drehte mich um. Mein Atem kondensierte vor meinen Lippen und die Tränen brannten in meinen Augen. Aber ich wusste, dass dieser Schmerz nichts im Vergleich zu dem war, der kommen würde, wenn Frederik mich erst einmal verletzte.
Als ich einen verstohlenen Blick über die Schulter warf, fühlte ich mich gleichzeitig bestätigt und enttäuscht – von Frederik war nichts mehr zu sehen.
10
Nachdem ich dem Taxifahrer meine Adresse genannt hatte, bat ich ihn, durch den Hafen zu fahren.
»Sind Sie sicher, Fräulein? Das ist ein ganz schöner Umweg.«
Ich ließ ihm das Fräulein durchgehen, weil er alt genug war, um mein Großvater zu sein, und sagte nur knapp: »Ganz sicher.« Dann hüllte ich mich in Schweigen und starrte aus dem Fenster. Ich versuchte, die Lichter zu zählen, die ich unterwegs sah.
Auf keinen Fall wollte ich darüber nachdenken, wie traurig ich jetzt war. Egal, wie oft ich mir versicherte, dass das die klügste Entscheidung war: Es fühlte sich einfach nicht so an.
Die böse Stimme in meinem Hinterkopf wies mich darauf hin, dass Frederik mir nicht einmal nach draußen gefolgt war. Ich ignorierte sie und starrte weiter in die Dunkelheit.
Völlig in Gedanken versunken bemerkte ich erst gar nicht, dass der Fahrer angehalten hatte. Ich gab ihm ein großzügiges Trinkgeld, weil er den gewünschten Umweg gefahren war. Dann stieg ich aus und atmete die klare Nachtluft ein. Die Temperaturen lagen knapp über Null und sicherlich würde es bald das erste Mal schneien.
Kurz vor der Tür erstarrte ich. Frederiks Wagen parkte auf dem Kies vor dem Haus – und ich hatte angenommen, er würde sich auf der Party ohne mich amüsieren. Egal. Ich konnte einfach leise in meine Wohnung schleichen. Er würde mir wohl kaum im Flur auflauern, immerhin hatte ich sehr erfolgreich den Eindruck erweckt, dass ich mit Simon hatte nach Hause fahren wollen.
Mit klopfendem Herzen spähte ich in den Flur und stellte erleichtert fest, dass er leer war. Das dumpfe Gefühl in meiner Brust ignorierte ich. Es würde vergehen – das wusste ich aus Erfahrung.
Als ich mit gestrafften Schultern hinter mir zuschloss, hatte ich plötzlich keine Energie mehr übrig. Ich schaffte es lediglich, meinen Mantel auszuziehen, dann ließ ich ihn auf den Boden fallen. Es wirkte einfach absurd, in diesem Moment etwas so simples zu tun wie Ordnung halten. Dabei sollte ich mich doch freuen! Es war immerhin meine Absicht gewesen, Frederik aus meinem Leben zu schneiden – wie der Fremdkörper, der er in meinen Augen war. Das war mir gelungen.
Hatte ich nicht noch Sekt im Kühlschrank? Das erschien mir jetzt genau das Richtige zu sein. Ich stand in der offenen Tür und starrte in das blasse Licht des Kühlschranks.
Dass ich weinte, bemerkte ich erst, als meine Tränen auf den Boden tropften. Leise schniefend warf ich die Tür zu und beschloss, mich einfach auf das Sofa zu legen und so lange konzentriert an die Decke zu starren, bis die Tränen getrocknet waren. Dabei würde ich versuchen, möglichst wenig zu denken.
Langsam verstand ich den Anreiz, Drogen zu nehmen. Es musste wunderbar sein, wenn das Gehirn endlich einmal Ruhe gab. Meines war gerade weit davon entfernt, sich ruhig zu verhalten. Ich schaffte es bis in den Türrahmen zum Wohnzimmer, dann lehnte ich mich dagegen und rutschte langsam nach unten. Dabei heulte ich wie ein Schlosshund. Warum fühlte es sich so falsch an, wenn es das Richtige war?
Der Vollmond schien durch das Fenster und tauchte das Wohnzimmer in ein gespenstisches Licht. Ich legte den Kopf auf die Knie und versuchte, meine Atmung zu beruhigen. Schon lange hatte ich nicht mehr so viel und intensiv geheult.
Als ich den Kopf hob, um mir die Nase abzuwischen, erstarrte ich. Ein langer Schatten fiel quer durch das Wohnzimmer auf mich.
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