Die zweite Nacht
aufmerksam. »Was hast du gemacht?«
Tatsächlich zuckte Bertram leicht zusammen und sah schuldbewusst nach unten. »Nichts Schlimmes.«
Frederik stöhnte auf und rieb sich über das Gesicht. »Dass es für dich nichts Schlimmes ist, bedeutet noch lange nicht, dass wir das genauso sehen. Also erzähl es uns lieber.«
»Die einfache Version?«, fragte Bertram kleinlaut und sein Bruder nickte.
Ich legte Frederik eine Hand auf die Schulter. »Was unterscheidet die einfache von der komplizierten Version?«
Mein Freund winkte ab. »Unverständliches Kauderwelsch, das rein gar nichts mit den Informationen zu tun hat, die wir gern hätten.«
Bertram teilte die Ansicht seines Bruders ganz offensichtlich nicht und rümpfte pikiert die Nase. »Ich habe Oles Festplatte durchsucht und sogar noch das Originaldokument mit Helens Namen gefunden. Die Chancen für eine erfolgreiche Klage liegen bei 97 Prozent.«
Da er offenbar glaubte, dass ich ihn anstarrte, weil ich ihn nicht verstanden hatte, fügte er noch gutmütig hinzu: »97 Prozent bedeutet, dass es statistisch gesehen sehr gute Chancen sind, Helen.«
Ich musste mir ernsthaft auf die Zungenspitze beißen.
Den Rest der Zeit saß ich da und meine Gedanken ratterten. Immer wieder ertönten Bertrams Worte in meinem Kopf – er konnte beweisen, dass Ole mein Buch gestohlen hatte. Besser noch, er hatte es herausgefunden, ohne dass er überhaupt gewusst hatte, dass mir ein Roman gestohlen worden war.
Ohne Vorankündigung stand Bertram auf und zog die Mundwinkel hoch – offenbar seine Versions eines Lächelns. »Bis nächstes Jahr.«
Er nickte Frederik und mir zu, dann packte er in Rekordgeschwindigkeit seinen Laptop ein. Bevor ich reagieren konnte, war er bereits zur Tür hinaus und ich wandte mich verblüfft an Frederik: »Bis nächstes Jahr? Meint er das ernst?«
Frederik nickte. »Er bleibt nie lange an einem Ort. Ehrlich gesagt habe ich nicht einmal seine Adresse, nur ein Emailpostfach, falls etwas sein sollte und für ganz dringende Fälle eine Handynummer, die sich alle paar Wochen ändert. Allerdings ist Bertram so nett, sie in meinem Handy aktuell zu halten.«
»Du machst Witze.« Ich strich mir durchs Gesicht. »Wow. Du hast tatsächlich nicht übertrieben, als du gesagt hast, dass er besonders ist.«
»Natürlich nicht. Aber er legt Wert darauf, dass wir uns mindestens einmal im Jahr sehen. Er sagt, es sei am unauffälligsten zu solchen Stoßzeiten zu reisen.«
Geschafft sank ich wieder tiefer in das Polster der Couch. »Ich glaube, das muss ich erst einmal verdauen.«
Frederik setzte sich neben mich, griff nach meiner Hand und streichelte sie. »Du schlägst dich sehr tapfer, wenn man bedenkt, was Bertram gemacht hat. Ich glaube nicht, dass viele Leute so ruhig bleiben würden, wenn jemand in ihren persönlichen Daten geschnüffelt hätte.«
»Er will dich doch nur beschützen und ich finde es beruhigend, dass ich nur zu 32,7 Prozent übergeschnappt bin. Ich hätte schwören können, dass es mehr ist.«
Am nächsten Nachmittag klopfte ich bei Frederik, weil ich ihn aus einer spontanen Laune heraus fragen wollte, ob wir gemeinsam laufen gehen sollten. Allerdings stand ich vor einer verschlossenen Tür und bekam keine Antwort. Leicht verstimmt, weil mein Angebeteter nicht zu Hause war, beschloss ich, alleine in den Park zu gehen.
Auf dem Weg durch das Treppenhaus überlegte ich, dass es gewisse Vorzüge haben könnte, mit Frederik zusammen zu wohnen. So müsste ich mir dann zum Beispiel nicht mehr vor seiner Tür die Beine in den Bauch stehen, weil ich nicht wusste, dass er nicht zu Hause war. Er bestand doch ohnehin darauf, dass ich ständig bei ihm schlief. Neuerdings schleppte ich sogar schon meine Zahnbürste mit.
Der Gedanke, noch mehr Zeit mit Frederik zu verbringen, besserte meine Laune schlagartig und ich trabte entspannt los. Wie sollte ich ihm die Idee nur unterjubeln? Am besten wäre es vermutlich, wenn ich es irgendwie so drehen könnte, dass er glaubte, es wäre sein Einfall gewesen. Oder ich würde es so machen, dass ich nach und nach meine Sachen in seiner Wohnung unterbrachte und ihn überrumpelte.
Diese Variante gefiel mir sogar noch besser – so oft, wie Frederik mich bisher ausgetrickst und aus dem Hinterhalt überfallen hatte, würde ihm das recht geschehen.
Die Frauenstimme in meinem Ohr informierte mich darüber, dass ich bereits anderthalb Kilometer zurückgelegt hatte, so sehr war ich mit Phantasieren beschäftigt
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