Die zweite Nacht
nennen.«
»Sondern?«, erkundigte ich mich interessiert und genoss, wie Frederik sich verlegen wand.
Leider fiel ihm wieder ein, worüber wir gesprochen hatten und er blickte mich aus seinen blauen Augen an. »Helen?«
»Ja?«, fragte ich.
»Überlegst du dir das mit dem Anwalt? Du solltest das wirklich nicht auf dir sitzen lassen.«
»Du willst doch nur einen Anteil von dem Geld«, sagte ich leichthin.
Plötzlich umfasste Frederik wieder mein Gesicht, seine Augen bohrten sich in meine. »Nein, will ich nicht. Das Geld ist dein Geld und du hast ein Anrecht darauf, weil du verdammt talentiert bist. Dieses Arschloch hat es bestimmt nicht verdient, sich auf deiner Leistung auszuruhen.«
Die Eindringlichkeit seiner Worte berührte mich und ich versuchte, das merkwürdige Gefühl mit einem Witz zu vertreiben. »Können wir nicht einfach ein paar Schläger engagieren, die ihn verprügeln? Wir könnten ja zusehen.«
Frederik schüttelte den Kopf. »Oh nein. Das mit dem Geld wird ihm viel mehr weh tun!«
»Judith!« Der heimatlose Hans strahlte mich an und erhob sich eilig von der Parkbank. Dabei entging mir nicht, dass seine Körperhaltung irgendwie merkwürdig war.
»Ist alles in Ordnung?«, wollte ich von ihm wissen.
Er winkte nur ab. »Wir werden alle nicht jünger, Mädchen.«
Ich seufzte sehr lang und sehr tief. Es wurmte mich, dass ich bestimmte Dinge einfach nicht aus Hans herausbekam. »Bist du sicher, dass es dir gut geht?«
Eine geraume Weile starrten wir uns stumm an und maßen unsere Kräfte. Hans gewann, weil er nicht einmal mit der Wimper zuckte. Mit einem Schulterzucken reichte ich ihm die Einkaufstüten, die ich für ihn mitgebracht hatte. Die eine enthielt wie immer Lebensmittel, die andere ein paar warme Sachen, die er sicherlich gut gebrauchen konnte. Der Januar sollte noch verdammt kalt werden, wenn man den Meteorologen glauben schenken konnte.
»Ach, Judith. Du sollst dich doch nicht immer so in Unkosten stürzen«, sagte er zaghaft und nahm mir ehrfürchtig die Tüte ab.
Ich grinste nur schief. Wenn es nach Frederik und meinem Fast-Schwager Bertram ging, würde ich bald keine Geldsorgen mehr haben – nicht, dass ich momentan in finanziellen Schwierigkeiten steckte. Trotzdem war es der Grund, weshalb ich mich für einen Besuch bei Hans entschieden hatte. Eine unabhängige Meinung war genau das, was ich gerade brauchte.
Natürlich hätte ich meine Familie fragen können, doch das hätte auch bedeutet, ihnen überhaupt von Ole erzählen zu müssen und diesen Programmpunkt wollte ich gern noch etwas vor mir herschieben.
»Warum so traurig, Mädchen?«, fragte der heimatlose Hans und begutachtete dabei eine Packung Spekulatius. Weihnachten war zwar schon vorbei, aber ich war mir sicher gewesen, dass Hans das relativ egal sein würde.
»Eigentlich bin ich eher wütend als traurig, dabei aber auch etwas unentschlossen – und ein bisschen Angst habe ich ebenfalls.« Verwirrt rieb ich mir mit der Hand über die Stirn; dazu schob ich die Wollmütze, die ich trug, etwas hoch. Wie sollte ich Hans erklären, was mein Problem war, wenn ich nur Unsinn von mir gab?
Ruhig riss Hans die Kekstüte auf und steckte die Nase tief hinein, um den Duft zu inhalieren. »Judith hat Weihnachten immer geliebt«, sagte er plötzlich und starrte versonnen in die Tüte. Überrascht wandte ich den Kopf und sah ihn an.
Doch genauso schnell, wie er gekommen war, verschwand der kurze Moment wieder und Hans schob sich mehrere Kekse auf einmal in den Mund. Während er kaute, legte er den Kopf in den Nacken und betrachtete den Himmel. Schließlich sagte er: »Das sind ganz schön viele Emotionen für deinen kleinen Kopf.«
»Ich habe keinen kleinen Kopf«, erwiderte ich empört und betastete verlegen meinen Hinterkopf. Dann holte ich den Bilderrahmen aus meiner Tasche und reichte ihn Hans. »Das Buch hier habe ich geschrieben. Es ist mir vor langer Zeit gestohlen worden, doch jetzt hat mein Freund Beweise dafür aufgetrieben, dass es mein Buch ist. Er und sein Bruder haben mir nahegelegt, den Dieb zu verklagen. Aber ich weiß nicht, was ich davon halten soll.«
Das war natürlich eine etwas vereinfachte Version der Geschichte, aber ich wollte nicht vier Stunden damit verbringen, Hans in alle komplizierten Einzelheiten einzuweihen. Der Kern blieb ohnehin der gleiche.
Mein obdachloser Freund betrachtete den Bilderrahmen ausführlich, allerdings die Rückseite. Dabei strich er immer wieder mit dem Daumen über
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