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Die zweite Stufe der Einsamkeit

Die zweite Stufe der Einsamkeit

Titel: Die zweite Stufe der Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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abgeschnitten? Jeder für sich in einem großen, dunklen, leeren Universum? Wir täuschen uns nur selbst, wenn wir glauben, daß außer uns noch jemand da ist. Am Ende, einem kalten, einsamen Ende, sind nur noch wir selbst, wir ganz allein, in der Düsternis. Bist du da, Robb? Wie kann ich es wissen? Wirst du mit mir sterben, Robb? Werden wir dann Zusammensein? Sind wir jetzt zusammen? Du sagst, wir sind glücklicher als die Normalen. Ich habe das auch gesagt. Sie haben nur eine Berührung und die Stimme, richtig? Wie oft habe ich das angeführt? Aber was haben wir ? Eine Berührung und zwei Stimmen, vielleicht. Es ist nicht mehr genug. Ich habe Angst. Plötzlich habe ich Angst.“
    Sie begann zu schluchzen. Instinktiv tastete ich zu ihr hinaus, nahm sie in meine Arme, streichelte sie. Wir legten uns zusammen zurück, und sie weinte an meiner Brust. Ich habe sie gelesen, kurz, und ich habe ihre Pein gelesen, ihre plötzliche Einsamkeit, ihren Hunger, alles von einem verdunkelnden Gedankensturm aus Angst durcheinandergequirlt. Und obwohl ich sie berührte und sie besänftigte und wieder und wieder flüsterte, daß alles gut werden würde, daß ich hier sei, daß sie nicht allein sei, trotz all dem wußte ich, daß es nicht genug war. Plötzlich war da eine Kluft zwischen uns, ein großes, dunkles, gähnendes Ding, das größer und größer wurde, und ich wußte nicht, wie ich sie überbrücken sollte. Und Lya, meine Lya weinte, und sie brauchte mich. Und ich brauchte sie, aber ich konnte nicht zu ihr kommen.
    Dann begriff ich, daß ich auch weinte.
    Wir hielten einander unter stillen Tränen; die Zeit verging. Aber irgendwann versiegten die Tränen. Lya preßte ihren Körper so heftig an mich, daß ich kaum atmen konnte, und ich hielt sie genauso fest umklammert.
    „Robb“, wisperte sie. „Du sagst … du hast gesagt, wir würden einander wirklich kennen. Immer wieder hast du das gesagt. Und hin und wieder sagst du auch, ich sei die Richti ge für dich und daß ich perfekt bin.“
    Ich nickte, wollte es glauben. „Ja. Ja, das bist du.“
    „Nein“, sagte sie, spie das Wort heraus, kämpfte es über die Lippen, zwang sich, es zu sagen. „Es ist nicht so. Ich lese dich, ja. Ich kann die Worte hören, wie sie in deinem Schädel herumrasseln, während du einen Satz formulierst, wie du Silbe um Silbe zusammenfügst, bevor du sie aussprichst. Und ich höre zu, wie du mit dir selber schimpfst, wenn du etwas Dummes getan hast. Und ich sehe Erinnerungen, ein paar Erinnerungen, und ich erlebe sie gemeinsam mit dir. Aber es ist alles an der Oberfläche, Robb, alles ganz oben. Darunter liegt mehr, mehr von dir . Dahintreibende Halb-Gedanken, die ich nicht mehr auffangen kann. Gefühle, die ich nicht benennen kann. Regungen, die du unterdrückst, und Erinnerungen, von denen nicht einmal du selbst mehr weißt, daß es sie gibt. Manchmal gelange ich bis in diese Ebene. Manchmal. Wenn ich wirklich darum kämpfe, wenn ich mich bis zur Erschöpfung anstrenge. Aber wenn ich dann dort angekommen bin, dann weiß ich – weiß ich –, daß es darunter noch eine Ebene gibt. Und noch eine und noch eine, tiefer und tiefer. Ich kann sie nicht erreichen, Robb, obwohl sie ein Teil von dir sind. Ich kenne dich nicht. Ich kann dich nicht kennen. Du kennst nicht einmal dich selbst, weißt du das? Und mich, kennst du mich? Nein. Noch viel weniger. Du weißt das, was ich dir erzähle, und ich sage dir die Wahrheit, aber möglicherweise nicht die volle Wahrheit. Und du liest meine Gefühle, meine Oberflächen-Gefühle – die Qual, die eine angestoßene Zehe hervorruft, das schnelle Aufblitzen von Ärger, die Lust, die ich empfinde, wenn du in mir bist. Bedeutet das, daß du mich kennst? Was ist mit meinen Ebenen, mit meinen vielen Ebenen?
    Was ist mit den Dingen, die ich nicht einmal selber weiß? Kennst du sie? Wie, Robb, wie?“
    Wieder schüttelte sie den Kopf, wieder mit dieser lustigen kleinen Geste, die sie immer dann gebrauchte, wenn sie durcheinander war. „Und du sagst, ich sei perfekt, und daß du mich liebst. So, wie ich bin, bin ich die Richtige für dich. Wirklich? Robb, ich lese deine Gedanken. Ich weiß, wann du mich sexy haben willst, also bin ich sexy. Ich sehe, was dich erregt, also errege ich dich. Ich weiß, wann du mich ernsthaft haben willst und wann lustig. Ich weiß auch, welche Art von Scherzen du hören willst. Niemals die gemeinen, du magst es nicht, Leute zu verletzen oder zu sehen, wie Leute verletzt werden. Du

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