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Die zweite Stufe der Einsamkeit

Die zweite Stufe der Einsamkeit

Titel: Die zweite Stufe der Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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hinauswill?“
    Natürlich verstand ich. Meine Antwort war keine richtige Antwort, und das kapierte ich. Aber Valcarenghi lag auch falsch, wenn auch nur teilweise.
    „Ja“, sagte ich. „Ich denke, wir haben noch einiges zu lesen.“ Ich lächelte schwach. „Noch etwas. Gustaffson hat seine Qual nicht geschlagen, niemals. Diesbezüglich war sich Lya ganz sicher. Sie war die ganze Zeit in ihm. Er hat sie sich nur niemals anmerken lassen.“
    „Das ist ein Sieg, nicht wahr?“ sagte Valcarenghi. „Wenn man seine Schmerzen so tief in sich begräbt, daß einem niemand ansieht, daß man sie hat?“
    „Ich weiß nicht. Ich glaube nicht. Aber … Gustaffson hat die Schleichende Pest. Er stirbt. Er stirbt schon seit Jahren.“
    Valcarenghis Gesichtsausdruck veränderte sich sekundenlang. „Das wußte ich nicht, aber es bestärkt meine Ansicht nur noch. Ich habe gelesen, daß sich rund achtzig Prozent der von der Schleichenden Pest Befallenen für Euthanasie entscheiden, wenn sie auf einem Planeten leben, wo dies legal ist. Gustaffson war Planetarer Administrator. Er hätte sie jederzeit legalisieren können. Wenn er in all diesen Jahren nicht an Selbstmord gedacht hat, warum hat er sich dann plötzlich doch noch dafür entschieden?“
    Darauf hatte ich keine Antwort. Wenn Lyanna eine darauf gehabt hatte – mir hatte sie sie nicht gegeben. Ich hatte keine Ahnung, wo wir die Antwort darauf finden sollten, es sei denn …
    „Die Höhlen“, sagte ich plötzlich. „Die Höhlen der Vereinigung. Wir müssen Augenzeugen einer Letzten Vereinigung werden. Es muß irgend etwas daran sein, etwas, das die Bekehrungen erklärt. Geben Sie uns eine Gelegenheit herauszufinden, was es ist.“
    Valcarenghi lächelte. „Also gut“, sagte er. „Ich kann das arrangieren. Ich habe erwartet, daß Sie diesen Punkt ansprechen würden. Allerdings ist das keine schöne Sache. Ich warne Sie. Ich war schon dort unten, ich weiß, wovon ich rede.“
    „Das ist schon in Ordnung“, erzählte ich ihm. „Wenn Sie glauben, es war eine Freude, Gustaffson zu lesen, dann hätten Sie Lya sehen sollen, als sie wieder zu sich kam. Sie macht den Spaziergang, weil sie hofft, es auf diese Art loszuwerden.“ Das, so redete ich mir ein, mußte es gewesen sein, was sie so durcheinandergebracht hatte. „Die Letzte Vereinigung kann nicht annähernd so schlimm sein wie diese Erinnerungen an Nachtmahr, da bin ich mir sicher.“
    „Also schön. Ich setze es auf morgen an. Ich werde Sie natürlich begleiten. Ich will keine Risiken eingehen, daß Ihnen etwas zustößt.“
    Ich nickte. Valcarenghi stand auf. „So weit, so gut“, sagte er. „In der Zwischenzeit lassen Sie uns aber an interessantere Dinge denken. Haben Sie schon irgendwelche Pläne fürs Abendessen?“
     
    Wir nahmen das Essen in Begleitung Gourlays und Laurie Blackburns in einem Pseudo-Shkeen-Restaurant ein, das von Menschen geführt wurde. Das Gespräch kreiste um allgemeine Themen: Sport, Politik, Kunst, alte Witze und ähnliche Belanglosigkeiten. Ich glaube nicht, daß die Shkeen oder die Greeshka während des ganzen Abends auch nur einmal erwähnt worden sind.
    Später, als ich in unser Appartement zurückkehrte, war Lyanna da, und sie hatte auf mich gewartet. Sie lag im Bett und las in einem der schön gebundenen Bücher aus unserer Bibliothek, einem Gedichtband von Alt-Erde. Sie blickte auf, als ich eintrat.
    „Hallo“, sagte ich. „Wie war der Spaziergang?“
    „Lang.“ Ein Lächeln huschte über ihr bleiches, schmales Gesicht und verblaßte.
    „Aber ich hatte Zeit zum Nachdenken. Über diesen Nachmittag und gestern und über die Gebundenen. Und über uns.“
    „Uns?“
    „Robb, liebst du mich?“ Diese Frage klang sehr sachlich, und es war unüberhörbar eine Frage. Als würde sie es nicht wissen. Als würde sie es wirklich nicht wissen.
    Ich setzte mich auf das Bett nieder und nahm ihre Hand und versuchte zu lächeln. „Sicher“, sagte ich. „Du weißt das, Lya.“
    „Ich weiß es. Ich weiß es wirklich. Du liebst mich, Robb, du liebst mich wirklich. So sehr, wie ein Mensch nur lieben kann. Aber …“ Sie unterbrach sich. Sie schüttelte den Kopf und schloß ihr Buch und seufzte. „Aber wir sind trotzdem getrennt, Robb. Wir sind trotzdem getrennt.“
    „ Wovon redest du?“
    „Dieser Nachmittag. Als es vorbei war, da bin ich so verwirrt gewesen, so verängstigt. Mir war nicht klar, wieso, aber ich habe darüber nachgedacht. Als ich sie gelesen habe, Robb – ich war

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