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Die zweite Stufe der Einsamkeit

Die zweite Stufe der Einsamkeit

Titel: Die zweite Stufe der Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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in ihnen, ich war in den Gebundenen, ich habe mit ihnen geteilt – ihre Körper und ihre Liebe. Ich hab’ es wirklich getan. Und ich wollte nicht mehr herauskommen. Ich wollte sie nicht verlassen, Robb. Als ich es dann doch getan habe, habe ich mich so isoliert gefühlt, so … abgeschnitten.“
    „Das war deine eigene Schuld“, sagte ich. „Ich habe versucht, mit dir zu reden. Du warst zu sehr mit deinen Gedanken beschäftigt.“
    „Reden? Wozu sollte Reden gut sein? Es ist Kommunikation, ich weiß, aber ist es das wirklich ? Das habe ich gedacht, bevor sie mein Talent ausgebildet haben. Danach erschien mir das Lesen als die einzig wirkliche Kommunikation, die einzige Möglichkeit, jemand anderen zu erreichen, jemanden wie dich. Aber jetzt weiß ich nichts mehr. Die Gebundenen sind – wenn sie läuten – so zusammen . Robb. Alle vereint. Fast wie wir, wenn wir miteinander schlafen.
    Und sie lieben einander auch. Und sie lieben uns, so intensiv. Ich spüre … ich … ich weiß nicht. Aber Gustaffson liebt mich so sehr wie du. Nein. Er liebt mich mehr.“
    Ihr Gesicht war weiß, als sie das sagte, ihre Augen weit geöffnet, leer, einsam. Und ich … ich spürte ein plötzliches Frösteln, als würde ein kalter Windhauch durch meine Seele wehen. Ich sagte nichts. Ich sah sie nur an und befeuchtete meine Lippen. Es tat weh.
    Sie sah den Schmerz in meinen Augen, nehme ich an. Oder hat ihn gelesen. Ihre Hand drückte auf die meine herunter, streichelte sie. „Oh, Robb. Bitte. Ich wollte dir nicht weh tun. Es liegt nicht an dir. Es liegt an uns allen. Was haben wir , verglichen mit ihnen ?“
    „Ich weiß nicht, wovon du sprichst, Lya.“ Eine Hälfte von mir wollte plötzlich weinen. Die andere Hälfte wollte schreien. Ich gab mir Mühe, beide Hälften sowie meine Stimme unter Kontrolle zu halten. Aber in meinem Inneren hatte ich mich nicht unter Kontrolle, ich hatte mich überhaupt nicht unter Kontrolle.
    „Liebst du mich, Robb?“ Wieder. Verwundert.
    „Ja!“ Wütend. Eine Herausforderung.
    „Was bedeutet das?“ fragte sie.
    „Du weißt, was es bedeutet“, sagte ich. „Verdammt, Lya, denk nach ! Erinnere dich, was wir alles hatten, was wir miteinander geteilt haben. Das ist Liebe, Lya. Wirklich. Wir sind die Glücklichen, weißt du noch? Du hast das selbst gesagt. Die Normalen haben nur eine Berührung und eine Stimme, dann sind sie wieder in ihrer Finsternis allein. Sie können einander kaum finden. Sie sind allein. Immer. Sie tappen wie blind herum. Sie versuchen es, immer und immer wieder, sie versuchen aus ihren Einzelzellen herauszuklettern, und sie schaffen es nicht, immer und immer wieder schaffen sie es nicht. Aber wir sind anders, wir haben den Weg gefunden, wir kennen einander so genau, wie sich menschliche Wesen nur kennen können. Es gibt nichts, was ich dir nicht sagen würde, nichts, was ich nicht mit dir teilen würde. Ich habe das schon oft gesagt, und du weißt, daß es wahr ist, du kannst es in mir lesen. Das ist Liebe, verdammt. Oder?“
    „Ich weiß nicht“, sagte sie mit einer Stimme, die so traurig und enttäuschend war. Lautlos, ganz ohne Schluchzen, begann sie zu weinen. Und während die Tränen in einsamen Rinnsalen über ihre Wangen herunterperlten, redete sie. „Vielleicht ist das Liebe. Das habe ich immer gedacht. Aber jetzt weiß ich es nicht mehr. Wenn das, was wir haben, Liebe ist, was habe ich dann heute nachmittag gefühlt, was war dann das, was ich berührt habe, was ich geteilt habe? Oh, Robb, ich liebe dich auch. Du weißt das. Ich versuche, mit dir zu teilen. Ich will das, was ich gelesen habe, mit dir teilen; wie es war. Aber ich kann nicht. Wir sind voneinander getrennt. Ich kann es dir nicht verständlich machen. Ich bin hier und du dort, und wir können uns berühren und miteinander schlafen und reden, aber wir sind dennoch getrennt. Verstehst du? Verstehst du? Ich bin allein. Und heute nachmittag war ich nicht allein.“
    „Du bist nicht allein, verdammt“, sagte ich plötzlich. „Ich bin hier.“ Ich umklammerte hart ihre Hand. „Spürst du es? Hörst du es? Du bist nicht allein!“
    Sie schüttelte den Kopf, und die Tränen kullerten weiter. „Du verstehst nicht, siehst du? Und es gibt keine Möglichkeit, wie ich es dir erklären könnte. Du sagst, jeder von uns kennt den anderen so genau, wie sich menschliche Wesen nur kennen können. Du hast recht. Aber wie gut können sich Menschen überhaupt kennen? Sind sie genaugenommen nicht alle voneinander

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