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Die zweite Stufe der Einsamkeit

Die zweite Stufe der Einsamkeit

Titel: Die zweite Stufe der Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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Mythen und Legenden, die sich um seinen Namen rankten, waren Legion.
    Im ganzen Land, in den verstreut liegenden, schäbigen Werkstätten und Benzindepots, in denen die Autonarren zusammenkommen und herumbasteln und sich unterhalten – überall werden die Geschichten über den Edsel bis zum heutigen Tag erzählt. Es heißt, das Auto wurde viel zu groß ge baut; es paßte in kaum eine Garage. Es heißt, er sei ganz PS – und ohne Bremse. Man nennt ihn die häßlichste Maschine, die jemals von Menschen entwickelt wurde. Die alten Witze über seinen Namen werden immer wieder erzählt. Und es gibt eine berühmte Legende: Wenn man ihn schnell genug fährt, soll der Wind ein komisches pfeifendes Geräusch machen, wenn er über die Haube strömt.
    Alles Romantische und Rätselhafte und Tragische des alten Automobils war im Edsel zusammengepackt. Und die Geschichten über ihn sind noch lange, nachdem seine glitzernden Zeitgenossen auf den Schrottplätzen nur mehr eine Menge Metallabfall waren, in der Erinnerung behalten und weitererzählt worden.
    Während ich neben ihm herfuhr, kamen all die alten Legenden über den Edsel in meinen Schädel zurückgeströmt, und ich war in meiner eigenen Nostalgie verloren. Ich versuchte es mit ein paar weiteren Fanfarenstößen aus meiner Hupe, aber der Fahrer schien mich absichtlich zu ignorieren, deshalb gab ich es bald auf. Außerdem hörte ich genauer hin – ob die Haube tatsächlich im Wind pfiff.
    Mittlerweile hätte ich bemerkt haben müssen, wie eigenartig die ganze Sache war – die Straße, der Edsel, die Art, wie sie mich ignorierten. Aber ich war zu hingerissen, um sonderlich viel nachzudenken. Ich war kaum fähig, meine Augen auf die Straße konzentriert zu halten.
    Natürlich wollte ich mit den Besitzern reden. Ihn mir vielleicht sogar für eine kleine Weile ausleihen. Da sie aber in Sachen Anhalten so verdammt unfreundlich waren, beschloß ich, ihnen ein Stück nachzufahren, bis sie anhielten, um zu tanken oder etwas zu essen. Deshalb wurde ich wieder langsamer; ich machte mich an die Verfolgung. Ich wollte ziemlich nah dran bleiben, ohne zu dicht aufzufahren, deshalb hielt ich mich auf der Spur unmittelbar links von ihnen.
    Während ich ihnen folgte – das weiß ich noch – habe ich mir gedacht, was für ein gründlicher Sammler der Besitzer doch sein mußte. Nun, er hatte sich sogar die Zeit genommen, ein paar seltene, altmodische Nummernschilder aufzutreiben. Die Art, wie sie seit Jahren nicht mehr benutzt worden sind. Darüber grübelte ich noch immer nach, als wir an dem Schild vorbeikamen, das die Ausfahrt 77 ankündigte.
    Der Junge, der den Edsel fuhr, wirkte plötzlich beunruhigt. Er drehte sich in seinem Sitz um und schaute über die Schulter zurück, als versuche er, noch einmal einen Blick auf das Schild zu werfen, das wir bereits hinter uns gelassen hatten. Und dann, ohne jede Warnung, riß er den Edsel direkt auf meine Spur herüber.
    Ich stieg in die Bremsen, aber es war natürlich hoffnungslos. Alles schien gleichzeitig zu passieren. Es gab ein furchtbares kreischendes Geräusch, und ich weiß noch, daß ich einen kurzen Blick auf das entsetzte Gesicht des Jungen erhaschte, unmittelbar bevor die beiden Wagen aufeinanderkrachten. Dann kam der Schlag des Zusammenpralls.
    Der Jag traf den Edsel breitseits, krachte mit siebzig Sachen in den Fahrerraum. Dann driftete er ab, prallte gegen die Leitplanke und kam zum Stehen. Der Edsel, voll getroffen, wirbelte in der Straßenmitte herum, überschlug sich, blieb auf dem Dach liegen. Ich weiß nicht mehr, wie ich meinen Sicherheitsgurt gelöst habe oder aus meinem Wagen gekrabbelt bin, aber beides muß ich getan haben, denn das nächste, woran ich mich erinnere, ist, daß ich auf der Straße herumkroch: benommen, aber unverletzt.
    Ich hätte sofort versuchen sollen, etwas zu tun, hätte auf die Hilfeschreie reagieren müssen, die aus dem Edsel kamen. Aber ich tat es nicht. Ich war noch erschüttert, im Schock. Ich weiß nicht, wie lange ich dalag, bevor der Edsel explodierte und zu brennen anfing. Die Schreie verwandelten sich plötzlich in ein Kreischen. Und dann gab es keine Schreie mehr.
    Als ich mich auf die Füße hochgerappelt hatte, war der Wagen ausgebrannt, und es war zu spät, um noch etwas zu tun. Aber ich dachte noch immer nicht sehr klar. Ich konnte Lichter in der Ferne sehen, entlang jener Straße, die von der Ausfahrtschleife wegführte. Ich begann, darauf zuzugehen.
    Dieser Marsch schien ewig zu

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