Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die zweite Stufe der Einsamkeit

Die zweite Stufe der Einsamkeit

Titel: Die zweite Stufe der Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
Vom Netzwerk:
derart zu mißhandeln.“
    Ich hatte nicht den Mut, es zu erklären zu versuchen, deshalb lächelte ich nur schwach und bat ihn, meinen Wagen zu holen. Der Jag war gewaschen, überprüft und aufgetankt. Er war in Hochform. Ich sah rasch nach Beulen, aber es waren keine zu finden.
    „Wie viele regelmäßige Kunden haben Sie hier in der Gegend?“ fragte ich den alten Mann, als ich bei ihm bezahl te. „Hiesige Sammler, meine ich, nicht Leute, die auf der Durchfahrt sind.“
    Er zuckte mit den Schultern. „Müssen in diesem Staat etwa hundert sein. Wir bekommen die meisten ihrer Aufträge. Haben das beste Benzin und die einzigen anständigen Service-Einrichtungen weit und breit.“
    „Irgendwelche anständigen Sammlungen?“
    „Ein paar“, sagte er. „Ein Bursche kommt immer mit einem Pierce-Arrow vorbei. Ein anderer Kollege hat sich auf die Vierziger spezialisiert. Er hat eine wirklich schöne Sammlung. Auch in gutem Zustand.“
    Ich nickte. „Gibt es hier irgend jemandem, dem ein Edsel gehört?“ fragte ich.
    „Kaum“, erwiderte er. „Keiner meiner Kunden hat soviel Geld. Warum fragen Sie?“
    Ich beschloß, auf die Straße aufzupassen, die ich einschlug – sozusagen. „Ich habe letzte Nacht einen auf der Straße gesehen. Bekam den Besitzer jedoch nicht zu sprechen. Dachte mir, es könnte vielleicht jemand aus dieser Gegend sein.“
    Die Miene des alten Mannes war ausdruckslos, deshalb wandte ich mich ab, um in den Jag zu steigen. „Niemand von hier“, sagte er, als ich die Tür schloß. „Muß ein anderer Bursche gewesen sein, der durchgefahren ist. Aber komisch, ihn auf so einer Straße zu treffen. Bekomme nicht oft …“
    Dann, gerade als ich den Zündschlüssel im Zündschloß drehte, fiel sein Unterkiefer um etwa sechs Fuß herunter. „Warten Sie einen Moment“, rief er. „Sie sagten, Sie seien auf der alten Autobahn gefahren. Sie haben einen Edsel auf der Autobahn gesehen?“
    Ich stellte den Motor wieder ab. „Das ist richtig“, sagte ich.
    „Mein Gott“, sagte er. „Ich hatte es fast vergessen, es ist so lange her. War es ein weißer Edsel? Fünf Leute darin?“
    Ich öffnete die Wagentür und stieg wieder aus. „Ja“, sagte ich. „Wissen Sie etwas über ihn?“
    Der alte Mann packte mit beiden Händen meine Schultern. Ein komischer Blick war in seinen Augen. „Sie haben ihn nur gesehen?“ sagte er, wobei er mich schüttelte. „Sind Sie sicher, daß das alles war, was passiert ist?“
    „Nein“, gab ich zu. „Ich hatte einen Zusammenstoß mit ihm. Das heißt, ich dachte, ich hätte einen Zusammenstoß mit ihm gehabt. Andererseits …“ Ich deutete lahm auf den Jaguar.
    Der alte Mann nahm seine Hände von mir und lachte. „Wieder“, murmelte er. „Nach all diesen Jahren.“
    „Was wissen Sie darüber?“ fragte ich drängend. „Was, zum Teufel, ist letzte Nacht da draußen vorgegangen?“
    Er seufzte. „Kommen Sie, ich erkläre Ihnen alles“, sagte er.
    „Es war vor über vierzig Jahren“, erzählte er mir bei einer Tasse Kaffee in einem Café auf der anderen Straßenseite. „Damals, in den Siebzigern. Es war eine Familie auf einem Ferienausflug. Der Junge und sein Vater wechselten sich hinter dem Steuer ab. Jedenfalls – sie hatten Hotelreservierungen in San Breta. Aber der Junge fuhr, und es war spät in der Nacht, und irgendwie hat er seine Ausfahrt verpaßt. Hat sie nicht einmal bemerkt.
    Wenigstens nicht, bis er auf die Ausfahrt 77 traf. Er muß gewaltig erschrocken gewesen sein, als er das Schild sah. Den Leuten zufolge, die sie kannten, war sein Vater ein echter Bastard. Die Sorte, die ihm wegen so etwas echten Ärger gemacht hätte. Wir wissen nicht, was passiert ist, aber man nimmt an, der Junge ist in Panik geraten. Er hatte seinen Führerschein erst seit etwa zwei Wochen. Von allen Dingen versuchte er ausgerechnet, eine Kehrtwendung zu machen und nach San Breta zurückzufahren.
    Der andere Wagen hat ihn breitseits erwischt. Der Fahrer dieses Wagens hatte seinen Sicherheitsgurt nicht angelegt. Er flog durch die Windschutzscheibe, schlug auf der Straße auf und war sofort tot. Die Leute in dem Edsel hatten nicht soviel Glück. Der Edsel überschlug sich und explodierte – die Leute waren in seinem Innern gefangen. Alle fünf sind verbrannt.“
    Ich schauderte ein wenig, als ich mich an die Schreie aus dem brennenden Wagen erinnerte.
    „Aber das geschah vor vierzig Jahren, sagten Sie. Wie erklärt das, was mir in der letzten Nacht passiert

Weitere Kostenlose Bücher