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Die zweite Stufe der Einsamkeit

Die zweite Stufe der Einsamkeit

Titel: Die zweite Stufe der Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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Metall.
    Aber diese Autobahn hatte Verkehrszeichen. Richtige Verkehrszeichen. Ich meine, solche, die man lesen konnte. Geschwindigkeitsbegrenzungs-Schilder, wo schon seit Jahren niemand mehr Geschwindigkeitsbegrenzungen einhielt. Vorfahrtsschilder, wo es nur selten überhaupt ein anderes Fahrzeug gab, dem man Vorfahrt gewähren konnte. Abbiegungsschilder, Ausfahrtsschilder, Warnschilder – alle möglichen Arten von Schildern. Und alle so gut wie neu.
    Aber der größte Schock waren die Linien. Farbe verblaßt schnell, und ich bezweifle, daß es in Amerika eine Autobahn gibt, deren weiße Linien man aus einem dahinrasenden Auto heraus wahrnehmen könnte. Aber auf dieser hier konnte man das. Die Striche waren klar und deutlich, die Farbe frisch, die acht Fahrspuren deutlich markiert.
    Oh, es war wirklich eine schöne Autobahn. Von der Art, wie man sie damals in den alten Tagen hatte. Aber es ergab keinen Sinn. Keine Straße konnte all diese Jahre in diesem Zustand überdauert haben. Was bedeutete, daß sie von irgend jemandem gewartet werden mußte. Aber von wem? Wer würde sich die Mühe machen, eine Autobahn zu warten, die jedes Jahr nur mehr eine Handvoll Leute benutzten? Die Kosten mußten ungeheuer sein, der Ertrag gleich Null.
    Ich versuchte noch immer dahinterzukommen, als ich das andere Auto sah.
    Ich war gerade an einem großen, roten Schild vorbeigesaust, das die Ausfahrt 76 ankündigte, die Ausfahrt nach San Breta, als ich es erblickte. Nur ein weißer Fleck am Horizont, aber ich wußte: Das mußte ein anderer Autofahrer sein. Ein Schwebelaster konnte es nicht sein, da ich deutlich aufholte. Und das bedeutete – ein anderes Auto, ein Fan-Kollege.
    Es war eine seltene Gelegenheit. Es ist verdammt selten, daß man auf offener Strecke einem anderen Auto begegnet. Oh, es gibt regelmäßige Treffen, das Fresno-Festival auf Rädern beispielsweise oder der jährliche Verkehrsstau des Amerikanischen Autofahrerverbandes. Aber die sind mir für meinen Geschmack zu unecht. Einem anderen Autofahrer auf der Autobahn zu begegnen, das ist wirklich etwas anderes.
    Ich trat das Gaspedal durch und beschleunigte bis auf hundertzwanzig Meilen pro Stunde. Der Jag konnte noch mehr bringen, aber ich bin kein solcher Geschwindigkeitsfanatiker wie einige meiner Fahrer-Kollegen. Und ich holte schnell auf. Demnach konnte der andere Wagen nicht mehr als siebzig fahren.
    Als ich in Reichweite kam, ließ ich ein Hupkonzert los; ich versuchte, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Aber er schien mich nicht zu hören. Zumindest tat er so. Ich hupte wieder.
    Und dann erkannte ich plötzlich die Bauart.
    Es war ein Edsel.
    Ich konnte es kaum glauben. Der Edsel ist einer von den echten Klassikern, ganz oben beim Stanley Steamer und dem Modell T. Die wenigen Exemplare, die es noch gibt, verkaufen sich für ein heutzutage ziemlich ansehnliches Vermögen.
    Und dieses hier war eines der seltensten, eines der Originalmodelle mit den komischen Schnauzen. Davon waren auf der ganzen Welt nur drei oder vier übriggeblieben, und die waren für keinen Preis zu kaufen. Eine kraftfahrtechnische Legende, und hier war sie auf der Autobahn, vor mir, so klassisch häßlich wie an dem Tag, an dem sie das Ford-Fließband verlassen hatte.
    Ich zog längsseits und verlangsamte, um mit ihm auf gleicher Höhe zu bleiben. Ich hätte nicht sagen können, daß es mir gefiel, wie das Ding gepflegt worden war. Die weiße Farbe war abgeblättert, das Auto war dreckig, und am unteren Teil der Türen gab es Anzeichen von Karosserie-Rost. Aber es war und blieb ein Edsel, und er konnte leicht restauriert werden.
    Ich hupte wieder, wollte den Fahrer aufmerksam machen, aber er ignorierte mich. Soweit ich sehen konnte, saßen fünf Leute in dem Auto, offenbar eine Familie auf einem Ausflug. Auf dem Rücksitz versuchte eine schwergewichtige Frau, zwei kleine Kinder zur Vernunft zu bringen, die ganz offenbar miteinander stritten. Ihr Mann schien auf dem Vordersitz fest eingeschlafen zu sein, während ein jüngerer Mann – wahrscheinlich sein Sohn – hinter dem Steuer saß.
    Das machte mich wütend. Der Fahrer war sehr jung, noch keine zwanzig, und es ärgerte mich, daß ein Junge in dem Alter die Chance hatte, solch einen Schatz zu fahren. Ich wünschte, an seiner Stelle zu sein.
    Ich hatte eine Menge über den Edsel gelesen; die Bücher über Autokunde waren voll davon. Es gab nichts, was ihm gleichkam. Er war die größte Katastrophe, die es auf diesem Gebiet gegeben hatte. Die

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