Die zweite Tochter: Thriller (German Edition)
Jill versuchte vergeblich ihre Angst zu verdrängen. »Vielleicht hat sie wieder zu viel getrunken und ist die Treppe hinuntergestürzt? Dort liegt sie jetzt, in ihrem Haus, allein, und niemand kümmert sich um sie.«
»Sie hat eine Schwester.«
»Die sie ablehnt.«
»Vielleicht verdient sie es? Wer weiß das schon.«
»Niemand verdient so etwas, Sam.«
»Auch nicht jemand, der säuft und betrunken Auto fährt?«
»Verurteile sie nicht, hilf ihr lieber.«
»Stopp.« Sam hob beide Hände. »Lass uns das Thema wechseln und zur Abwechslung mal über dich reden. Der schwarze SUV , der dich verfolgt, bereitet mir mehr Kopfzerbrechen als Abby. Mir wäre lieber, wenn wir auf Nummer sicher gingen.«
»Und das heißt?«
»Halte dich aus allem raus. Wer weiß, in welchen Schlamassel sich William vor seinem Tod hineinmanövriert hat.« Sams Blick wurde noch ernster. »Ich möchte nicht, dass du oder Megan in Gefahr geratet.«
»Ich würde Megan nie in Gefahr bringen.«
»Vielleicht hast du es schon getan. Du sorgst dich um Abbys Sicherheit, gut, aber was ist mit Megan und dir? Du sagst, der SUV war bereits in unserer Straße, vor unserem Haus.«
»Vielleicht war es ja nicht derselbe.« Jill fühlte sich angegriffen, verletzt. Sie war verwirrt.
»Vielleicht, vielleicht. Aber warum ein Risiko eingehen? Willst du uns alle in Schwierigkeiten bringen? Das ist ein Fall für die Polizei, nicht für uns.« Wieder hob Sam die Hände. »Und warum muss ich mich plötzlich mit dem Leben deines Exmannes auseinandersetzen?«
»Es geht nicht um sein Leben, sondern um das von Abby.«
»Aber es läuft auf das Gleiche hinaus, oder? Du stöberst in seinem Laptop herum, liest seine Mails, forschst nach seinen Geschäftspartnern. Bis gestern war er für dich gestorben, aber seit er tot ist, ist er wieder quicklebendig.«
»Rede nicht so mit mir.« Jill sah sich im Wohnzimmer um, blickte zur rotgemusterten Couch und zu den gelblich braunen Lampen. Nach der Scheidung hatte sie sich neue Möbel angeschafft. Das neue Haus war kleiner. Als Sam miteinzog, hatten sie eine Bilderleiste für seine Fotos und ein paar Bücherregale für seine Erstausgaben hinzugekauft. Das Wohnzimmer hatten sie gemeinsam verändert und so ein neues gemeinsames Zuhause geschaffen. Und jetzt? Jeder musste Zugeständnisse machen. »Du hast recht mit der Polizei. Ich rufe morgen an und informiere sie über das gefälschte Rezept und den SUV .«
»Bravo.« Sam stand langsam auf und hielt ihr die Hand entgegen. »Warum gehen wir nicht ins Bett und hoffen, dass Abby morgen früh wieder zu Hause ist?«
»Um ehrlich zu sein, ich glaube, ich kann erst schlafen, wenn alle unter meinem Dach in Sicherheit sind.«
»Abby hat ihr eigenes Dach, Schatz.« Sam ließ die ausgestreckte Hand sinken.
»Das ist doch Wortklauberei.« Jill wollte ein für alle Mal reinen Tisch machen.
»Ist es nicht. Vielleicht ist das Verschwinden ja auch nur ein Versuch von ihr, deine Aufmerksamkeit zu erregen. Was sie dir damit antut, ist ihr hoffentlich nicht klar. Du bist wieder ein Teil ihres Lebens, und das gefällt ihr. Sie liebt dich. Wie oft hast du das gestern Abend zu hören bekommen?«
»Aber ich liebe sie doch auch. Und das sind echte Gefühle, Sam, ohne jede Berechnung.«
»Auch bei ihr?« Sam neigte den Kopf. »Was hat sie sich dabei gedacht, dich zur Trauerfeier einzuladen, ohne dein Auftauchen mit ihrer Schwester zu besprechen? Sie hätte doch wissen können, dass sie eine Szene macht.«
»Damit hatte sie nicht gerechnet.«
»Ach, ist das so? Wenn du mich fragst, will sie all deine Aufmerksamkeit auf sich lenken, damit du Megan und mich vergisst.«
»Aber, Sam, das ist Unsinn.«
»Ist es nicht. Ich bin derjenige, der an deiner Seite die Stelle ihres Vaters eingenommen hat. Und hast du gestern gesehen, wie feindlich sie mir gegenüber war?«
»Sie war betrunken. Außerdem kennt sie dich überhaupt nicht.«
»Okay, es reicht jetzt. Ich kann nicht mehr. Ich gehe ins Bett. Du auch?«
»Noch nicht.« Wieder glaubte Jill, zwischen allen Stühlen zu sitzen. Wie schön wäre es, wenn Abby zu ihr zurückkehren würde. Ihr Platz in ihrem Herzen war so lange Zeit verwaist gewesen. Wie wunderbar, diese Leere wieder füllen zu können. »Ich bin noch nicht müde. Außerdem kann ich nicht schlafen gehen und so tun, als sei alles in Ordnung.«
»Eine Sache noch, Schatz. Vielleicht willst du dich auch nur um Abby kümmern, weil Megan den Kinderschuhen fast entwachsen ist. Denk mal
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