Die zweite Tochter: Thriller (German Edition)
sie schon, was passieren würde.
»Ich bin nicht dein Schatz! Verstanden? Mit so was kannst du Abby vielleicht einwickeln, aber nicht mich. Und jetzt gib sie mir.«
»Abby ist nicht hier, ich schwöre.« Jills Gedanken wan derten von Victoria zu Abby. Sie begann sich Sorgen zu machen. »Wann hast du sie das letzte Mal gesehen?«
»Das geht dich nichts an. Wahrscheinlich ist sie dann in der Arbeit.«
»Nein, ist sie nicht. Sie hat gekündigt.«
»Sie hat gekündigt? Woher weißt du das?«
»Sie hat es mir gesagt. Vielleicht hat sie ja eine Verabredung? Gestern Abend war sie betrunken, vielleicht hat sie sich da auch schon mit jemandem getroffen?«
»Da gibt’s so einen ganz abgedrehten Typen«, bemerkte Victoria trocken.
»Santos? Sind die beiden wieder zusammen?«
»Ich fasse es nicht! Jetzt kennst du auch schon Santos. Du lässt wirklich nichts anbrennen, oder?« Victoria schnaubte. »Mein Vater ist gerade gestorben, Jill. Bitte etwas Zurück haltung bei deinem Versuch, dich wieder bei uns einzu schmeicheln.«
Jill ging nicht darauf ein. Sie wollte sich nicht streiten. Die Situation war so schon verfahren genug. »Hast du Santos’ Telefonnummer?«
»Er ist wieder in Brasilien. Sie könnte irgendeinen wildfremden Typen aufgegabelt haben. Das tut sie gern. Sie macht gern Party.«
Jill zuckte zusammen. »Aber heute war die Trauerfeier für ihren Vater. Als ich sie vorhin verlassen habe, stand ihr der Sinn ganz sicher nicht nach Feiern. Hast du ihre Freundinnen schon angerufen?«
»Von denen kenne ich niemanden. Und sie sind ja noch nicht mal zur Trauerfeier gekommen.«
»Fährst du jetzt zu euch nach Hause und schaust nach, ob alles in Ordnung ist?«
»Nein, Jill, das tue ich nicht. Ich bin nämlich nicht Abbys Mutter. Und du – merk dir das gefälligst – bist es auch nicht. Bis dann.«
»Warte. Ruf mich bitte an, wenn du etwas von ihr hörst. Oder sag ihr, dass sie mich anrufen soll.«
»Abby interessiert dich also wirklich?«
»Ja, das tut sie. Genau wie du, Victoria, mir am Herzen …«
Victoria hatte schon aufgelegt. Sofort rief Jill Abby an. Es läutete und läutete, bis die Mailbox ansprang: »Ich amüsiere mich gerade und hab deshalb keine Zeit zum Telefonieren. Hinterlasst mir eine Nachricht.« Jill tat es: »Hi, Abby, ich mache mir Sorgen. Ruf mich an und sag mir, wo du bist. Victoria sucht dich auch. Melde dich bei mir, egal, wie spät es ist. Tausend Küsse.«
Jill legte auf. Seltsam, dass Abby heute Abend nicht zu Hause war. Dass sie sich in ihrem Zustand außerhäusig vergnügen wollte, konnte Jill sich kaum vorstellen. Der Wagen mit dem defekten Scheinwerfer, der Mann mit der schwarzen Baseballkappe, das Überwachungsvideo, Williams bereinigter Laptop, alles kam ihr wieder in den Sinn.
Vielleicht war der Gedanke, dass William umgebracht worden war, ja doch gar nicht so absurd? Aber wenn man ihn ermordet hatte, dann schwebte jetzt vielleicht auch Abby in Lebensgefahr. Sie wohnte in seinem Haus, der Mörder könnte denken, dass sie vielleicht etwas mitbekommen hatte …
Jill, ich liebe dich.
Eine schreckliche Angst befiel sie. Sie sprang auf und rannte ins Wohnzimmer. »Sam!«
17
Jill informierte Sam in Rekordgeschwindigkeit über alle Fakten. Beef schlief auf dem Teppich, seine Hinterbeine zuckten, als würde er etwas Aufregendes träumen. Im Fernseher lief stumm eine Talkshow. Sam hörte ihr voll konzentriert zu. Er saß aufrecht auf der Couch und hatte die Arme auf die Oberschenkel gelegt.
»Und was denkst du?«
»Ziemlich viel.« Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Ein Glas Wasser mit schmelzenden Eiswürfeln stand auf dem eichenen Beistelltisch neben ihm. »Das alles ist ziemlich seltsam. Vor allem der tote Arzt, der noch Rezepte ausstellt.«
»Das sehe ich auch so.« Jill tat Sams Bestätigung gut, aber sie machte sich noch immer Sorgen um Abby.
»William hat doch damals schon deine Rezeptblöcke geklaut. Vielleicht konnte er es einfach nicht lassen?«
»Und warum hat er sich verkleidet?«
»Zur Sicherheit, falls er auffliegt.«
»Daran habe ich nicht gedacht.« Jill rieb sich das Gesicht. »Ich kann die ganze Zeit nur an Abby denken. Wo sie wohl sein mag?«
»Überall und nirgends.« Sam nahm die Brille ab, sein Blick wurde frostig.
»Und wenn sie in Gefahr ist?«
»Das glaube ich nicht.« Sam sah auf seine Uhr. »Es ist jetzt ein Uhr nachts. Wahrscheinlich geht sie einfach nur gern aus.«
»Ich weiß nicht. Wenn sie doch nur in der Nähe wohnen würde.«
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