Die zweite Tochter: Thriller (German Edition)
zwar ein netter Kerl, aber Regeln sind Regeln, und das Forum nimmt sie sehr ernst.«
»Das Forum?«
»Das Forum der Genossenschaft. Ihr gehört das Haus.« Mike gab Jill die beiden Fotos zurück, das zweite flatterte dabei auf den Tisch. Es war das Bild von Neil und William auf dem Golfplatz von Pebble Beach. Mike hob es auf. »Oh, das ist Mr. Straub. Da war er noch jünger.«
»Das Foto dürfte ein paar Jahre alt sein.«
»Scheint so.« Mike grinste und hielt ihr das Foto entgegen. »Pink trägt er nämlich heute nicht mehr.«
Jill stutzte. Neil hatte ein marineblaues Polohemd an, das pinkfarbene trug William. »Ich verstehe nicht, Mr. Straub trägt doch kein Pink.«
»Aber ja doch.« Mike deutete auf William. »Ich bin doch nicht farbenblind, und das hier ist Pink.«
»Schon, aber der Mann ist nicht Neil.«
»Sicher ist er das.« Mike tippte mit dem Zeigefinger auf Williams Gesicht. »Das hier ist Mr. Straub.«
Jill verbarg ihre Verwunderung. »Sie meinen, Neil Straub ist in Wirklichkeit William Skyler?«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden.« Mike gab ihr das Foto zurück. »Ich weiß nur, dass der Mann in Pink Neil Straub ist. Ich rede mit ihm doch jeden Tag. Seit drei Jahren wohnt er in 4-D.«
»Vielen Dank. Mike.« Jill steckte die Fotos ein und versuchte das eben Gehörte einzuordnen. William hatte sich also eine zweite Identität zugelegt und führte ein Doppelleben als Neil Straub. Er war schon immer ein Betrüger gewesen, aber das hier schlug dem Fass den Boden aus. Er hatte seine eigenen Kinder auf die übelste Weise hintergangen. Aber vielleicht – das war Jills nächster Gedanke – hatte Abbys Verschwinden ja etwas mit Williams Doppelleben zu tun?
»Entschuldigen Sie mich einen Augenblick.« Mike richtete seine Konzentration auf den Fahrstuhl, dessen Türen sich gerade öffneten. Eine attraktive, gut gekleidete Frau in einem weißen Hosenanzug trat heraus. Sie trug ein Handy, eine Handtasche und einen großen Pappkarton.
»Mike, mein Schatz!«, rief die Frau. »Könnten Sie mir helfen, bitte?«
»Natürlich, Belle.« Mike ging um den Tisch herum und nahm der Dame den Karton ab.
»Noch eine Frage, Mike.« Jill folgte ihm. »Wer ist der andere Mann auf dem Foto. Der mit dem marineblauen Hemd, kennen Sie ihn?«
»Keine Ahnung. Belle, wo soll der Karton hin?«
»Stellen Sie ihn fürs Erste auf dem Tisch ab.« Die Frau sah sich in der Lobby um. »Mein Kunde ist noch nicht da? Zum Teufel mit ihm! Ich hasse es, wenn Leute unpünktlich sind.«
Jill setzte nach. »Mike, eine allerletzte Frage.«
Mike stellte den Karton genervt auf dem Tisch ab. »Was denn noch?«
»Gibt es hier so etwas wie einen Hausmeister?«
»Nur Bewohner des Hauses sprechen mit dem Hausmeister«, verkündete Mike nun in offiziellem Ton. Die Dame zog ihre perfekt nachgezeichneten Augenbrauen hoch.
»Worum geht es denn, meine Liebe? Sind Sie an einer Wohnung interessiert? Es ist ein wunderbares Haus. Ich habe selbst hier gewohnt. Ich kann Ihnen eine ganz besondere Wohnung zeigen. Bei dem Wohnungsmarkt heutzutage ist sie fast geschenkt.« Die Dame hielt Jill ihre manikürte Hand entgegen. »Ich bin Belle Kahan von Prudential Im mobilien.«
Jill hatte nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen. »Ich hätte tatsächlich Interesse an einer Wohnung in diesem Haus.«
Mike verzog das Gesicht und wandte sich um, sagte aber nichts.
35
Jill betrat eine große, leere Wohnung mit zwei riesigen Fens tern, die auf den Hudson hinausgingen. Sie warf einen kurzen Blick auf den Fluss, in ihrem Kopf drehte sich alles. Unvorstellbar, dass William in diesem Haus drei Jahre lang als Neil Straub gelebt hatte. Zig Fragen gingen ihr im Kopf herum, aber die einzige, die im Moment zählte, betraf Abby.
»Ist das nicht eine Aussicht?«, fragte Belle und zeigte auf den Hudson. »Besser geht’s nicht.«
»Wirklich wunderbar.« Jill gelang ein Lächeln. »Was können Sie mir über das Haus erzählen?«
»Es gehört einer exklusiven Genossenschaft, die auch fiskalisch haftet. Das Gebäude wird sehr gut geführt, es ist kleiner als die anderen in der Straße. Wir haben hier nur vierzig Wohnungen. Haben Sie schon einen Makler?«
»Noch nicht.«
»Dann würde ich gern für Sie arbeiten. Ich kenne dieses Haus und das gesamte West Village in- und auswendig. Ich wohne in der Horatio Street.«
»Das Haus gefällt mir.« Jill dachte an William in 4-D. »Haben Sie auch andere Wohnungen in dem Gebäude verkauft?«
»So einige. Was machen Sie
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