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Die zweite Todsuende

Die zweite Todsuende

Titel: Die zweite Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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kaufe ich es, bringe es hierher und trenne mich dafür von etwas anderem. Sonst würde die Wohnung ein Lagerhaus werden.»
    «Nun, was Sie hier geschaffen haben, ist phantastisch», sagte der Chief. «Ich sehe kein einziges Stück, das ich nicht selbst gern in meinem Haus hätte.»
    «Wirklich?» Geltman strahlte. «Meinen Sie das ernst?»
    «Absolut», erwiderte Delaney ein wenig erstaunt, wie groß das Bedürfnis dieses Mannes nach Bestätigung war. «Erlesener Geschmack.»
    «Geschmack!» rief Geltman aus und sah sich mit glänzenden Augen um. «Jawohl! Nun, ich kann zwar keine Fiedel streichen und kann nicht malen, dafür drückt sich meine schöpferische Begabung hierin aus.» Er senkte den Blick, seine Fingerspitzen glitten sanft über die Platte einer bezaubernden Fichtenholzkommode, deren Schubladen und Türen mit gehämmerten Messingbeschlägen versehen waren. «Ich liebe diese Wohnung», sagte Geltman leise, «liebe sie. Hört sich albern an, ich weiß, aber …» Unversehens hielt er inne, richtete sich auf, lächelte Delaney an. «Nun», meinte er munter und rieb sich die Hände, «was hätten Sie gern zu trinken? Wein? Whiskey? Oder etwas anderes?»
    «Haben Sie ein Bier?» fragte der Chief.
    «Selbstverständlich. Heineken. Wie wär's?»
    «Ja gern, vielen Dank.»
    «Setzen Sie sich irgendwo hin. Ich bin gleich wieder da.»
    Delaney wählte einen Ohrensessel mit hoher Rückenlehne, der ganz am Ende des Zimmers stand und von dem aus man die gesamte Fensterfront vor sich hatte. Er ließ sich darauf nieder und bemerkte jetzt erst, daß sich zwei Männer auf der Terrasse befanden; sie saßen auf weißen Gittersesseln an einem gußeisernen weißen Tisch. Der Chief war etwas erstaunt. Weder hatte er sie vorher gesehen noch hatte Geltman seine Gäste erwähnt.

    Die beiden Männer oder vielmehr Jünglinge waren fast gleich gekleidet: sie trugen kurzärmelige weiße Strickhemden, weiße Leinenhosen und weiße Tennisschuhe. Träge rekelten sie sich in ihren Sesseln, sahen einander nicht an, sondern beobachteten den Schiffsverkehr unten auf dem Fluß.
    Auf dem weißen Tisch funkelte eine Flasche Rosé in der Sonne. Während Delaney hinsah, hoben die beiden jungen Männer langsam Kristallgläser an die Lippen und tranken. Durch die hellen Leinengardinen betrachtet, mutete die Szene wie eine Garden-Party im England des 19. Jahrhunderts an: friedevoll und immerwährend, wie auf einer altmodischen Fotografie festgehalten, bräunlich verblaßt, mit rissiger Oberfläche, die Ecken umgeknickt oder abgerissen, der Augenblick jedoch und der Ort eingefangen wie ein Traum, dessen man sich erinnert: schmachtende Jünglinge, überall Sonnenschein, ein sanfter Lufthauch, der sie ewig umfächeln, und ein Tag, der nie enden würde.
    «Tut mir leid», sagte er, als Geltman zurückkam. «Ich hatte keine Ahnung, daß Sie Besuch haben.»
    «Ach», meinte Geltman leichthin, «das sind bloß zwei Jungs aus der Nachbarschaft, die vorbeigekommen sind, um meinen Weinkeller zu plündern.»
    Er brachte die bereits geöffnete Bierflasche auf einem silbernen Tablett zusammen mit einem tulpenförmigen Glas. Das Glas war gekühlt; ein feiner Hauch von Eis überzog es.

    «Das macht man mit einem Elektrofroster», erklärte Geltman lachend. «Kühlt im Handumdrehen. Albern, sieht aber hübsch aus.»
    «Und schmeckt auch besser», sagte Delaney und schenkte sich sein Bier ein. «Sie trinken nichts?»
    «Im Augenblick, nein. Nun, was kann ich für Sie tun, Chief? Noch mehr Fragen?»
    Der kleine Mann saß seitlich vor Delaney auf der Armlehne eines Klubsessels. Den Rücken kehrte er dem Fenster zu, so daß sein Gesicht im Schatten lag. Er trug eine weiche Flanellhose und einen Rollkragenpullover aus weißer Wolle. Seine weichen Mokassins glänzten geradezu sündhaft. Besonders auffällig war ein goldenes Armband aus schweren Kettengliedern, in denen sich das Licht brach, doch bemerkte Delaney nichts von der nervösen Energie, die der Händler in seiner Galerie an den Tag gelegt hatte. Kein In-sich-Zusammenfallen, kein Sich-Aufrichten, Sich-Verrenken und Gestikulieren. Kein Fingergetrommel, kein Sich-mit-der-Hand-über-das-schüttere-braungraue-Haar-fahren. Saul Geltman schien ruhig und gelassen. Weil er, wie Delaney vermutete, hier in seinen eigenen vier Wänden ganz und gar «bei sich» war.
    «Ja, ich hätte da noch ein paar Fragen», sagte der Chief. «Aber zunächst einmal möchte ich Ihnen dafür danken, daß Sie uns zu Ihrer Vernissage

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