Die zweite Todsuende
Was soll dieser ganze Unsinn?»
«Doktor, Doktor», sagte Delaney so beschwichtigend wir irgend möglich. «Es handelt sich wirklich um einen Notfall, und es geht um Leben und Tod, und die Polizei ist eingeschaltet. Es geht um einen Ihrer Patienten, um …»
«Haben Sie denn überhaupt keinen Grips im Kopf?» fuhr Dr. Horowitz ihn an. «Haben Sie noch nie was von ärztlicher Schweigepflicht gehört? Von mir werden Sie kein Wort über einen Patienten hören.»
Delaney holte tief Luft. «Es handelt sich um einen Patienten, der längst tot ist», schrie er Horowitz an. «Da gibt es keine ärztliche Schweigepflicht mehr, an die Sie sich halten müßten, Sie haben verdammt noch mal kein Recht, der Polizei Informationen über einen verstorbenen Patienten vorzuenthalten.»
«Wer behauptet das?» schrie der Arzt zurück.
«Die Gerichte behaupten das», donnerte Delaney und log dann das Blaue vom Himmel herunter. «In soundso vielen Fällen, der letzte war Johnson gegen den Staat New York, haben die Gerichte entschieden, daß ein Arzt weder durch Gesetz noch auf Grund von Präzedenzfällen berechtigt ist, Polizeibeamten in Ausübung ihres Dienstes wichtige Informationen über einen verstorbenen Patienten vorzuenthalten.» Es war erstaunlich, wie man gebildete Männer einwickeln konnte.
«Um welchen Patienten handelt es sich denn?» fragte Dr. Horowitz widerstrebend. Immerhin schrie er jetzt nicht mehr.
«Victor Maitland.»
«Ach … der.»
«Jawohl, der!» sagte Delaney streng. «Ich erwarte ja nicht mehr, als daß Sie fünf Minunten Zeit für mich haben. Können Sie nicht fünf Minuten vom Golfspielen erübrigen?»
«Von wegen - Golfspielen!» sagte Dr. Horowitz bitter. «Sehr komisch! Ich kann mich vor Lachen kaum halten. Damit Sie es wissen, mein lieber Mr. Delaney, ich bin im Roosevelt-Hospital bei einem Jungen, der im Sterben liegt. Was er hat? Das weiß keiner. Vielleicht Hirnhautentzündung. Von wegen Golfspielen!»
«Wenn ich jetzt gleich zu Ihnen rüberkomme», sagte Delaney, «können Sie mir dann fünf Minuten opfern?»
«Hat das nicht Zeit bis Montag?»
«Nein», sagte Delaney, «hat es nicht. Fünf Minuten sind alles, was ich brauche. In einer halben Stunde bin ich da.»
«Wie kann ich Sie davon abhalten herzukommen?» kapitulierte Dr. Horowitz.
Delaney nahm das als Zustimmung. Er knallte den Hörer auf die Gabel, griff Lesebrille und Notizbuch und war schon weg.
Neben seiner ganz normalen Abneigung gegen Krankenhäuser im allgemeinen hatte Delaney eine besondere Aversion gegen die Roosevelt-Klinik: dort war seine erste Frau dahingesiecht und schließlich gestorben. Zwar gab er zu, daß es unsinnig war, ein Gebäude dafür verantwortlich zu machen, aber so sah es nun mal in ihm aus. Und sollte er - was Gott verhüten möchte! - jemals auf den Stufen des Roosevelt-Hospitals vom Schlag getroffen werden, würde er denen, die ihm zu Hilfe kommen wollten, als allererstes zurufen: «Um Gottes willen, bringt mich ins Mount Sinai-Krankenhaus, verdammt noch mal!»
Dr. Aaron Horowitz trieb er im Arztzimmer auf, einem kleinen, freudlosen Raum mit einem Fernsehapparat, einer Couch und zwei Sesseln, die mit orangefarbenem Plastikstoff bezogen waren, einem Kartentisch, vier Klappstühlen und sonst fast nichts.
Dr. Horowitz entpuppte sich als klein, mindestens einen Kopf kleiner als Delaney, aber etwa ebenso alt, wenn nicht älter. Er hatte ein verkniffenes, desillusioniertes Gesicht und trug eine Stahlbrille. Zwar hatte er rings um den Hinterkopf einen Kranz weißer Haare, doch der größte Teil seines Kopfes war kahl, braungebrannt und sommersprossig. Er trug einen weißen Ärztekittel und hatte den Mundschutz locker um den Hals hängen. Da er keinerlei Anstalten machte, Delaney die Hand zu reichen, blieb dieser in einiger Entfernung stehen.
«Nerven haben Sie», sagte der Arzt zornig. «Was zum Donnerwetter ist denn so wichtig an Victor Maitland, daß es nicht bis Montag warten könnte?»
«Haben Sie ihn jemals einer Schnittwunde wegen behandelt, die von einem Messer herrührte?» fragte Delaney. «Etwa am Arm?»
«Nein. Ist das der Notfall, bei dem es um Leben oder Tod geht?»
«Das ist nicht alles», sagte Delaney. «Im Obduktionsbefund heißt es: Möglicherweise Polymyotis.»
«Möglicherweise?» schnaubte Dr. Horowitz verächtlich. «Das soll wohl ein Witz sein? Sie machen mir Freude!»
«Dann haben Sie also davon gewußt?» fragte Delaney.
«Davon gewußt? Selbstverständlich habe ich davon
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