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Die zweite Todsuende

Die zweite Todsuende

Titel: Die zweite Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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gewußt. Der Mann war schließlich mein Patient, oder?»
    «Was ist das - Polymyositis?» fragte Delaney. «So was wie Arthritis oder Gastritis?»
    «So kann man es auch ausdrücken», sagte Horowitz. «Wenn Sie Sterben mit Ohnmächtig-werden gleichsetzen.»

    Einen Augenblick starrte Delaney ihn an; er begriff nicht.
    «Sterben? Soll das heißen, so was führt zum Tode?»
    «Bei Victor Maitland ja. Oder hätte dazu geführt, wenn ihn nicht jemand vorher umgebracht hätte.»
    Delaney trat einen kleinen Schritt zurück.
    «Zum Tode?» wiederholte er mit belegter Stimme. «Sind Sie ganz sicher?»
    Dr. Aaron Horowitz warf verzweifelt die Hände in die Höhe. «Warum lassen Sie mich nicht vor der Ärztekammer befragen?» höhnte er. «Ob ich sicher bin? Was ist das für eine saudumme Frage? Möchten Sie Maitlands Krankenblatt sehen? Möchten Sie die Untersuchungsergebnisse erfahren? Daß die Corticosteroid-Therapie nicht anschlug? Interessiert Sie die Meinung von zwei …»
    «Schon gut, schon gut», beeilte Delaney sich zu sagen, «Ich glaube Ihnen. Wie lange litt er schon daran?»
    Horowitz dachte einen Augenblick nach.
    «Ich glaube, so an die fünf Jahre», meinte er. «Um Genaueres sagen zu können, müßte ich in den Unterlagen nachsehen.»
    «Wie lange hätte er denn noch zu leben gehabt?»
    «Eigentlich hätte er schon seit einem Jahr tot sein müssen … Der Mann hatte die Konstitution eines Ochsen.»
    «Wie lange würde er denn noch gelebt haben, wenn er nicht ermordet worden wäre? Nur Ihre Meinung, Doktor. Sie sollen keine Aussage vor Gericht darüber machen. Ich schreibe auch nichts auf.»
    «Meiner Meinung nach? Na, vielleicht noch ein Jahr. Zwei, höchstens drei. Wissenschaftlich exakt ist das nicht zu beantworten, wissen Sie. Die Menschen sind verschieden.»

    «Hat er es gewußt? Haben Sie es ihm gesagt?»
    «Daß er sterben mußte? Selbstverständlich habe ich ihm das gesagt.»
    «Und wie hat er darauf reagiert?»
    «Er hat gelacht.»
    Delaney starrte den Arzt an.
    «Gelacht?»
    «Richtig. Was ist daran so ungewöhnlich? Manche Leute weinen, andere brechen zusammen, wieder andere tun überhaupt nichts. Die Menschen sind verschieden. Maitland hat gelacht.»
    «Hat er jemals irgendwem erzählt, daß er todkrank war?»
    «Ja woher um alles in der Welt soll ich das wissen?»
    «Sie jedenfalls haben es keinem anderen anvertraut? Seiner Frau zum Beispiel?»
    «Ich habe es niemandem gesagt. Nur Maitland. Ihre fünf Minuten sind um.»
    «Schon gut, Doktor», sagte Delaney. «Ich danke Ihnen dafür, daß Sie mir soviel Zeit geopfert haben.» Er wandte sich zum Gehen und hatte die Tür zum Korridor bereits geöffnet, als er sich noch einmal umdrehte. «Wie steht es mit dem Jungen, von dem Sie gesprochen haben?» erkundigte er sich.
    «Der ist vor zwanzig Minuten gestorben.»
    «Das tut mir leid», sagte Delaney.
    «Soll dir der Bauch platzen!»
    «Soll'n dir Zwiebeln aus dem Arsch wachsen», erwiderte Delaney einem wie vom Donner gerührten Dr. Aaron Horowitz.
    Der Chief ging in der Eingangshalle des Krankenhauses augenblicklich in eine Telefonzelle und suchte die Nummer von Saul Geltman heraus. Der Kunsthändler war zu Hause und, wie Delaney spürte, nicht gerade erbaut, an diesem so hellen, sonnigen Juninachmittag von einem Polizeibeamten angerufen zu werden. Trotzdem erklärte er sich einverstanden, ihn zu empfangen, und lud ihn ein, in seine Wohnung zu kommen. Wie sich herausstellte, wohnte Geltman ziemlich weit weg im Osten der Stadt, in einem der neuen, hohen Apartmenthäuser, von denen man über den East River und weit nach Brooklyn sehen kann. Delaney nahm ein Taxi und kam endlich dazu, jene Zigarre zu rauchen, die er sich schon vor einer Stunde zurechtgemacht hatte. Im Taxi klebten überall Plakate mit der Aufschrift: Bitte nicht rauchen! Fahrer ist allergisch! Delaney zündete sie sich trotzdem an, und der Fahrer sagte kein Wort, was in Anbetracht der Stimmung, in der der Chief sich befand, nur klug war.
    Delaney hatte zu Boone gesagt, er sei gespannt, Saul Geltmans Wohnung kennenzulernen, weil es nach seiner Meinung keine bessere Möglichkeit gab, den Charakter eines Menschen zu beurteilen, als sich dessen Wohnung anzusehen. Eine Wohnung war eine Zuflucht, in der jemand, wenn er wollte, die Maske fallen lassen konnte, die er draußen trug. Sie verriet etwas über seine Neigungen und Abneigungen, seine Bedürfnisse und Wünsche, seine Stärken und seine Schwächen. Wenn jemand viele Bücher hatte, so

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