Die zweite Todsuende
Fernsehstationen waren sie geschickt worden. Die Daily News hatte sie sehr gut auf Seite 4 placiert, darunter eine Notiz mit der Überschrift: Neue Spuren im Fall Maitland. Außerdem waren die Bilder in den Abendnachrichten auf Kanal 2 und 7 gezeigt worden, dazu eine Telefonnummer, die jedermann anrufen sollte, der Hinweise geben konnte.
Darüber hinaus war Jason T. Jason vom Streifendienst entbunden worden, um ausschließlich in Sachen Maitland tätig zu sein. Er war begeistert von seiner neuen Aufgabe und verbrachte Sergeant Boone zufolge rund achtzehn Stunden am Tag damit, jene Lieblingslokale von Victor Maitland abzuklappern, die auf seiner Liste standen, und Straßenhändlern, Kneipenwirten, Inhabern von Schönheitssalons, Ladenbesitzern, Hausierern, Zuhältern und Dirnen, kleinen Dealern und Wermutbrüdern auf der Lower East Side Abzüge im Postkartenformat von den Phantombildern der Gesuchten zu zeigen, jedem, der die beiden Frauen gesehen haben könnte.
Außerdem machte Boone in dieser Woche noch einmal einen Stoppuhrtest und bewies zu seiner und Delaneys Befriedigung, daß es für Ted Maitland kein Problem gewesen sein konnte, vom Cooper Union College in die Mott Street zu fahren, seinen Vater umzubringen und noch rechtzeitig zu seiner Zwei-Uhr-Vorlesung ins Cooper Union zurückzukehren.
Auch gelang es Boone, den Nachnamen von Martha, der Haushälterin von Dora und Emily Maitland, festzustellen. Sie hieß Beasely. Der Sergeant rief einfach bei Maitlands an. Beim erstenmal kam Emily an den Apparat, und Boone legte wieder auf. Beim zweiten Versuch antwortete eine rauhe, ziemlich schrille Frauenstimme: «Hier bei Maitland.»
Boone sagte: «Ich hätte gern die Adresse von Martha Jones. Spricht dort Martha?»
«Ja, Martha schon», antwortete die Haushälterin, «aber ich heiße nicht Jones, sondern Beasely.»
«Entschuldigen Sie die Störung», sagte Boone und legte auf. Dann sah er im Telefonbuch von Nyack nach und erfuhr auf diese Weise Martha Beaselys Adresse.
Am Donnerstag rief Ivar Thorsen an und teilte Delaney mit, daß Mrs. Dora Maitlands Bank in Nyack sich einverstanden erklärt habe zu helfen; der Chief dürfte das Konto einsehen. Nur müsse alles unter größter Geheimhaltung geschehen; Delaney solle mit dem Prokuristen sprechen, der während der Durchsicht dabei sein würde, um sicherzugehen, daß Delaney in den Unterlagen nichts ändere oder gar etwas herausnehme. Damit erklärte der Chief sich sofort einverstanden.
So war es alles in allem eine geschäftige, produktive Woche -viele Telefongespräche, Besprechungen, schriftliche Berichte und Aufstellen neuer Zeitpläne -, doch als sie am Freitagmorgen nach Nyack fuhren, stimmten Delaney und Boone betreten darin überein, daß sie ihrem Ziel, den Mörder von Victor Maitland zu finden, keinen Schritt nähergekommen waren. Wenn auch keiner dem anderen seine Enttäuschung eingestehen wollte, sprudelten sie nicht gerade über vor Optimismus.
«Trotzdem», sagte Delaney, «man weiß nie, wann ein Durchbruch kommt oder von wo. Ich hatte mal einen Kollegen im 18. Revier, der hatte einen Mordfall zu bearbeiten; es ging um eine junge Frau, die in ihrer Wohnung vergewaltigt und erwürgt worden war. Sämtliche Spuren verliefen sich irgendwie. Wochen-, ja monatelang blieb alle Mühe vergeblich, dann kam die Akte auf den Stapel ‹Unerledigt›. Sie wissen ja, wie so was geht: es kommt immer soviel Neues, daß man sich um das Alte nicht mehr kümmern kann. Na ja, mehr als ein Jahr später bekommt die New Yorker Polizei einen Brief von einer Frau in Ohio, Michigan oder Indiana, ich weiß nicht mehr, woher genau. Sie war vom Peace Corps nach Afrika geschickt worden, hatte sich ein Fieber geholt und mußte wieder nach Hause. Dieses Mädchen ließ natürlich ihre Post nach Afrika nachschicken. Sie war eine gute Freundin von der jungen Frau, die hier in New York umgebracht worden war. Und während sie noch in Afrika ist, wird ihr ein Brief von eben dieser Frau nachgeschickt, die hier abgemurkst wurde. Der Brief handelt fast ausschließlich von einem neuen Freund, den sie gerade kennengelernt hat: daß er einen roten Bart hat, David heißt, wie nett er ist und so weiter, und daß sie den Brief beenden und rasch noch in den Briefkasten stecken will, weil dieser David zum Abendbrot kommt. Der Brief, den die Peace Corps-Frau aufgehoben und der New Yorker Polizei geschickt hat, trug das Datum jenes Tages, an dem das Mädchen … na, sagen wir: das Zeitliche
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