Die zweite Todsuende
merkte, daß dieser Bulle aus New York entweder nur grunzte oder überhaupt nicht antwortete, gab er es schnell auf, setzte sich über die Abmachung hinweg und meinte: «Sagen Sie dem Mann draußen Bescheid, wenn Sie fertig sind.» Dann ging er und hinterließ einen schwachen Duft von Canoe.
Delaney schloß die Tür und drehte den Schlüssel um. Sodann setzte er seine Lesebrille auf, zog die Jacke aus und nahm auf einem Stahlrohrstuhl mit dürftigem Polster Platz; er legte Notizbuch und Bleistift zurecht und machte sich an die Durchsicht der Ausdrucke. Nach einer knappen Viertelstunde wurde ihm klar, daß er Notizbuch und Bleistift nicht brauchen würde. Blindgänger.
Die Ausdrucke zeigten die Bewegungen auf Dora Maitlands Spar- und Girokonto während der letzten sechs Monate. Aus dem Mikrofilm ergaben sich ähnliche Informationen für die vergangenen sieben Jahre. Als Delaney klar wurde, daß er auf keine überraschenden Enthüllungen stoßen werde, machte er immer schneller und ließ den Mikrofilm fast mit Höchstgeschwindigkeit durch das Lesegerät laufen. In kaum mehr als einer Stunde war er mit allem fertig.
Dora Maitland verfügte über ein Sparguthaben, das ursprünglich etwas über 6000 Dollar betragen hatte, auf Grund kleinerer Abhebungen - für gewöhnlich 50 oder 100 Dollar - unterdessen auf etwas unter 4 000 Dollar zusammengeschrumpft war. Die Abhebungen ergaben zeitlich gesehen keine Verdachtsmomente. Während des Zeitraums, den die vorliegenden Unterlagen abdeckten, waren außer Zinsgutschriften keine Einzahlungen vorgenommen worden.
Die Auszüge des Girokontos wiesen zwar so etwas wie ein Grundmuster auf, doch kam es Delaney völlig unverdächtig vor. So wurden zum Beispiel jedes Vierteljahr 117,50 Dollar überwiesen, immer genau diese Summe. Dabei handelte es sich höchstwahrscheinlich um Wertpapierzinsen. Und die halbjährlichen Gutschriften von 375 Dollar waren vermutlich Zinsen von städtischen Anleihen.
Außerdem wurden wöchentlich 125 Dollar abgebucht, ohne Zweifel der Lohn von Martha Beasely. Ferner Abbuchungen von kleineren Summen, Telefon- und Elektrizitätsgebühren, wie er annahm, und Ausgaben für den Lebensunterhalt.
Jedes Jahr war ein Scheck über etwas mehr als 2 000 Dollar ausgestellt worden; die Grundsteuer, wie Delaney annahm. Monatliche Abbuchungen, die hoch genug gewesen wären, um Zahlungen für Hypotheken zu sein, gab es keine; er vermutete daher, daß das Maitlandsche Anwesen völlig schuldenfrei sei.
Als er fertig war, saß er ein Weilchen mit hängenden Schultern da und starrte kläglich auf die unbeschriebene Seite seines Notizbuchs. Worauf er gehofft hatte, waren selbstverständlich große Einzahlungen oder Abhebungen. Eine einzelne große Abhebung zum Beispiel konnte bedeuten, daß ein gedungener Killer bezahlt worden war. Unregelmäßige Zahlungen von größeren Summen wiesen bisweilen auf Erpressung hin. Wonach Delaney jedoch insbesondere Ausschau gehalten hatte, waren größere Einzahlungen. Das wäre dann Grund zu der Annahme gewesen, daß Victor Maitland, der immerhin ein sehr erfolgreicher Maler gewesen war, kräftig zum Unterhalt seiner Mutter und Schwester beigetragen hatte, mit denen er auf gutem Fuß stand. Aber offenbar hatten Dora und Emily die Wahrheit gesagt. Von Victor bekamen sie nichts. Jedenfalls ging aus den Bankauszügen nichts dergleichen hervor.
Alles deutete darauf hin, daß Dora und Emily Maitland ihr Auskommen hatten - mehr aber nicht. Sie besaßen Haus und Grundstück, aber ihr Barvermögen betrug nach diesen Unterlagen kaum mehr als 5 000 Dollar. Das war unglaublich, wenn man bedachte, daß der liebe Sohn Bilder für hundert Riesen das Stück verkaufte, und Delaney glaubte es daher auch nicht. Irgendwie stank es - und nicht nach Canoe.
Der Chief sagte dem Tresorwächter, er gehe nun, und überquerte die sonnenheiße Straße in Richtung Kneipe. Es war ein schwüler Nachmittag; er trug das Jackett überm Arm und die Kreissäge in der Hand. In der Bar sah es genauso trostlos aus wie in Delaneys Innerem - ein großer, leerer Schuppen, in dem es nach schalem Bier und Desinfektionsmitteln roch, Sägespäne auf dem Boden lagen und eine gescheckte Katze gähnte. Zwei schweigende Kunden hingen vor dem Tresen über ihrem Bier, und der Mann hinter der Bar war auch nicht gesprächiger. Er saugte an seinem Zahnstocher, starrte zum fliegenbeschmutzten Fenster hinaus und wartete geduldig auf das Ende der Welt.
Der Chief bestellte ein Budweiser,
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