Die zweite Todsuende
segnete. Die Frau vom Peace Corps erfuhr erst, daß ihre Freundin umgebracht worden war, als sie wieder nach Amerika zurückkam. Die Kollegen kramen also die verstaubten Akten wieder raus und stoßen auf einen verheirateten Mann namens David, der überdies auch noch einen roten Bart hat und der im selben Büro mit der Ermordeten gearbeitet hatte. Sie nahmen ihn in die Mangel, und dabei kam's raus. Aber da sehen Sie, daß es manchmal noch zu einem Durchbruch kommt, wenn überhaupt kein Mensch mehr daran denkt.»
«Hätten wir das Glück doch auch!» sagte Boone bekümmert.
«Wird schon werden», meinte Delaney zuversichtlich. «Wir kämpfen für eine gerechte Sache.»
Wobei Sergeant Boone nicht wußte, ob der Chief witzelte oder es ernst meinte; irgendwann mußte er ihn mal fragen, wie es eigentlich um seinen Sinn für Humor bestellt sei.
Während der Autofahrt nach Nyack unterhielten sie sich ausgiebig über Victor Maitlands tödliche Krankheit. Der Sergeant konnte gar nicht darüber hinwegkommen.
«Alle zerreißen sich das Maul darüber, was für ein Beschäler vor dem Herrn er war, und daß er mit allem ins Bett ging, was da kreuchte und fleuchte», sagte Boone. «Und jetzt kommen wir dahinter, daß er ein Todeskandidat war und das auch noch wußte! Chief, meinen Sie, daß er vielleicht deshalb so fleißig unter der Bettdecke war? Weil er da noch so viel wie möglich mitkriegen wollte, bevor er abkratzen mußte?»
«Nein, das glaube ich nicht. Den Ruf, ein Weiberheld zu sein, hatte er schon lange. Erinnern Sie sich, daß Geltman sagte, was für ein flotter Hecht er vor zwanzig Jahren in Greenwich Village war? Nein, ich glaube nicht, daß das Todesurteil aus dem Mund von Dr. Horowitz ihn in dieser Beziehung besonders beflügelt hat. Aber ich freß 'n Besen, wenn es sich nicht in anderer Weise bei ihm ausgewirkt hat. Sergeant, es ist einfach unmöglich, so etwas zu erfahren und seine Lebensweise nicht irgendwie zu ändern.»
«Aber Geltman hat das bestritten», gab Boone zu bedenken. «Er behauptet, Maitland habe sich kein bißchen geändert.»
«Geltman», sagte Delaney nachdenklich. «Ich mag den Kleinen. Wirklich! Aber er hat irgendwas …» Der Chief machte eine Bewegung, als ob er einen Zeiger weiterdrehte. «Irgendwie und irgendwo ist da ein Schräubchen locker. Ein bißchen zu locker.»
«Die Jungs auf der Terrasse?»
«Nein. Na ja … die gehören wohl dazu, vielleicht. Aber diese Wohnung. Die wunderschönen Sachen, die er da hat. Diese Sachenl Er liebt sie! Sie hätten mal sehen sollen, wie er mit der Hand darüber hingefahren ist! Es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte die Tische geküßt! Eine solche Leidenschaft für schöne Gegenstände habe ich noch nie erlebt! Gewiß, sie waren prachtvoll. Aber immerhin waren es doch bloß Sachenl Wenn er mal so alt ist wie ich, wird er merken, daß man die erste Hälfte des Lebens damit zubringt, Sachen zusammenzutragen, und die zweite Hälfte, sie wieder loszuwerden. Wenn ich seine Kristalltulpe, das Bierglas, zerbrochen hätte, ich glaube, er wäre in Tränen ausgebrochen.»
«Aus Sachen habe ich mir nie was gemacht», sagte der Sergeant.
«So?» feixte Delaney. «Das hätte ich angesichts Ihrer luxuriös eingerichteten Wohnung nie vermutet.»
Boone grinste, beschloß jedoch, sich nächstens bei Woolworth ein paar anständige Gläser zu besorgen.
Vor der Bank setzte der Sergeant den Chief ab. Der riet ihm, er solle sich für sein Gespräch mit Martha Beasely Zeit lassen. Wenn er fertig sei, könne er Delaney entweder in der Bank abholen oder, wenn er nicht mehr da sei, es in der Kneipe gegenüber versuchen. Im Schaufenster der Bar prangte ein Schild mit der Aufschrift: Ja, wir haben Coors.
Der Prokurist erwies sich als ernster junger Mann mit einem blonden Bärtchen, das nicht sehr überzeugend wirkte. Er versteckte Delaney in einem der kleinen Räume, die vom eigentlichen Kellergewölbe mit den Schließfächern abgingen. Auf dem Tisch lagen ein Stapel zusammengefalteter Computerausdrucke, zwei kleine Mikrofilmrollen in beschrifteten Hüllen sowie ein Mikrofilmlesegerät.
«Können Sie mit so einem Ding umgehen?» fragte er den Chief.
«Sicher», sagte Delaney. «Start. Stop. Vor- und zurückspulen. Damit werde ich schon fertig.»
«Richtig», sagte der Bankmensch. «Hm … ja …»
Dann fragte er wißbegierig nach den jüngsten Ergebnissen der Ermittlung. («Muß eine faszinierende Arbeit sein. Sagen Sie, machen Sie …?») Aber als er
Weitere Kostenlose Bücher