Die zweite Todsuende
sich, und ihre steinern blickenden Augen richteten sich voll auf Delaney. «Was willst du von ihr?»
«Ich will mit ihr sprechen. Ihr ein paar Fragen stellen.»
Mama Perez sagte kopfschüttelnd: «Versteht nich, Dolores.»
«Bringen Sie sie trotzdem her», befahl Delaney.
Sie erhob sich seufzend. Sie trug eine billige geblümte Kittelschürze und strich den dünnen Stoff mit einer Bewegung über den schwellenden Hüften glatt, die kokett, beinahe mädchenhaft war.
Dabei sagte sie lässig: «Du tust Dolores was, ich mache dich tot.»
«Keiner tut Dolores was», versicherte Delaney. «Los, Jason, gehen Sie mit.»
Rosa Perez ging ins Badezimmer, Jason hinterher. Sie klopfte auf der anderen Seite; Delaney und Boone hörten einen Schwall Spanisch.
Sie warteten. Durch das große Fenster fiel sommerlicher Sonnenschein ein, und die winzige Wohnung, so dicht unterm Dach, verwandelte sich nachgerade in eine Schwitzkammer. Delaney stand auf, stelzte zum Fenster und riß es auf. Das war nicht einfach, der dick mit Farbe beschmierte Rahmen klemmte. Doch schließlich öffnete er es weit, lehnte sich hinaus, die Hände auf die Brüstung gestützt. Dann trat er ins Zimmer zurück und machte das Fenster halb zu.
«Fünf Stockwerke hoch und der Hof betoniert, da müßte wenigstens eine Art Schutzgitter sein, so was zum Anschrauben. Wenn die Kleine -»
«Dolores. Schön, nich?» kündigte Mama Perez an.
Die Männer betrachteten das Mädchen, das da nahe der Tür zum Bad stand, mit leerem Blick, die Arme locker hängen lassend, barfuß, in einem rosafarbenen Unterrock aus Kunstseide. Sie sahen, was Victor Maitland gesehen hatte. Jugend. Eine Knospe vor dem Erblühen. Und langes, glänzend schwarzes Haar. Ein makelloses, maskenhaftes Gesicht. Augen gläsern. Blühendes Fleisch.
«Tag, Dolores», lächelte Delaney sie an. «Wie geht es dir?»
Dolores blieb stumm, sah ihn nicht an. Delaney nahm die Fotokopien der Maitlandschen Skizzen und hielt sie ihr entgegen.
«Das bist du, Dolores.» Er zwang sich, weiterzulächeln.
Sie schaute auf die Skizzen und nahm doch nichts wahr. Ihr Gesicht zeigte nichts. Sie kratzte sich seelenruhig am Arm.
«Sie soll sich setzen», sagte der Chief zu Mama Perez.
Die Frau murmelte etwas auf spanisch, das Mädchen glitt durchs Zimmer zu dem ungemachten Bett und ließ sich anmutig darauf nieder. Ihre Bewegungen waren wie die eines Vogels im Fluge, zielsicher und absichtslos. Sie war sich selbst genug, sie schuf Raum.
«Setzen Sie sich auch noch einen Moment, Mama, ich habe noch ein paar Fragen», sagte Delaney.
«Noch welche?»
«Einige wenige.»
Er und Rosa Perez nahmen wieder Platz, der Sergeant und Jason T. Jason blieben einander gegenüber an der Wand stehen.
«Sie werden seit langem gesucht», begann der Chief. «Sie und Dolores. In der Zeitung und im Fernsehen hat man Phantombilder von Ihnen gezeigt. Haben Sie die nicht gesehen?»
Zum erstenmal wurde sie stutzig. Delaney sah ihr an, daß sie überlegte, ob die Wahrheit ihr schaden könnte.
«Ja, hab ich gesehen», gab sie schließlich zu.
«Sie haben sich aber nicht gemeldet. Sie haben nicht gefragt, weshalb wir nach Ihnen suchen.»
«Warum soll ich?»
«Ganz recht», versetzte Delaney gleichmäßig freundlich. «Warum sollten Sie? Nun, wir wollten Sie fragen, ob Sie und Dolores an jenem Freitagvormittag jemand gesehen haben.»
«Menge Leute am Freitag. Viele Leute haben wir gesehen.»
«Ich meine in dem Haus, wo Maitland sein Atelier hatte.» Delaney war von unerschöpflicher Geduld. «Vielleicht auf der Treppe. Oder im Hausflur. Oder in der Nähe des Hauses.»
Rosa Perez schüttelte den Kopf.
«Zu lange her. Weiß nich mehr.»
«Ich kann Ihnen vielleicht helfen.» Delaney zog alle Fotos und den Zeitungsausschnitt aus dem Umschlag und legte sie so auf dem Küchentisch aus, daß die Gesichter Mama Perez zugewandt waren.
«Schauen Sie hin. Genau. Lassen Sie sich Zeit. Sind Ihnen von diesen Männern oder Frauen einer oder mehrere an jenem Freitag in der Nähe von Maitlands Atelier begegnet?»
Nach einem raschen Blick auf die Fotos schüttelte sie wieder den Kopf.
«Ich weiß nich mehr.»
«O doch. Sie sind eine gescheite Frau, Mama. Sie erinnern sich», sagte Delaney leise, aber mit Nachdruck. «Sie haben ein gutes Gedächtnis, sind eine gute Beobachterin. Sehen Sie noch mal hin.»
«Ich weiß nich.»
Delaney erhob sich seufzend, ließ die Fotos aber, wo sie waren.
«Wie Sie wollen, Mama. Aber wir sind nicht die
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