Die zweite Todsuende
aber da irrt er.»
Boone drehte sich auf dem Sitz zur Seite und schaute Delaney an. «So ganz geheuer dürfte ihm aber nicht zumute sein. Ich stelle mir folgendes vor: Freitagvormittag fährt Geltman in die Mott Street, um Maitland abzustechen. Beim Raufgehen trifft er Mama und Dolores. Er sieht sie deutlich, sie sehen ihn deutlich. Kann sogar sein, daß Mama ihm gleich auf der Treppe ein Angebot gemacht hat, dazu ist sie durchaus imstande. Wichtig ist in diesem Zusammenhang: er kann nicht wissen, daß die beiden eben erst bei Maitland im Atelier waren. Und deshalb geht er weiter. Stimmt's, Chief?»
«Stimmt.»
«Er geht weiter, ins Atelier von Maitland und bringt ihn um. Und verdrückt sich anschließend schnellstens. Dann spielt er den besorgten Agenten, fährt am Sonntag endlich ins Atelier, entdeckt total überrascht die Leiche und ruft die Polizei. Aber jetzt wird es lustig, denn die Blauen finden die drei Skizzen von Dolores, und Geltman erkennt sie: er ist ihr Freitag auf der Treppe begegnet. Also verlangt er die Skizzen, kriegt sie aber nicht. Ich weiß es, ich war ja dabei. Da schleicht er sich also vor Angst schwitzend nach Hause und kann nur hoffen, daß die verfluchten Zeichnungen ihn nicht verraten; das Mädchen könnte ihn ja identifizieren, er weiß nicht, daß sie schwachsinnig ist.»
«Und dann tauchen wir beide auf und forschen nach dem Mädchen», ergänzte der Chief.
«Richtig, und da scheißt er sich vor Angst in die Hosen. Finden wir das Mädchen mit Hilfe der Skizzen, kann ihm das den Hals brechen. Also läßt er sich was einfallen - und zwar schnell, das muß man ihm lassen: Er lädt uns zu seiner Vernissage ein, vor allem Sie.»
«Damit er in Ruhe die Skizzen mausen kann, während ich nicht zu Hause bin.»
«Und das macht er auch», spann Boone seinen Gedankengang fort.
«Da herrschte ja ein so fürchterliches Gedränge, daß man ihn kaum vermissen würde, wenn er mal eine Stunde nicht zu sehen war.»
«Er hätte auch jemand mit dem Einbruch beauftragen können», gab Delaney zu bedenken.
«O ja, womöglich einen von seinen Goldjungen», stimmte Boone zu. «Wie auch immer, er hat nun die Skizzen und denkt, jetzt kann ihm nichts mehr passieren, er hat Ruhe. Aber siehe da, ein paar Tage später stößt er in der Zeitung auf die Phantombilder von Dolores und Mama Perez. Das dürfte ihn einem Herzanfall recht nahe gebracht haben. Stellen Sie sich vor, wie ihm zumute gewesen sein muß! Er denkt, die Sache ist gelaufen, und nun muß er feststellen, daß die Bullen über Mama und Dolores informiert sind. Und das dürfte ihm die Laune verdorben haben, er ist bestimmmt in miserabler Verfassung. Sehen Sie das ähnlich, Chief?»
«Sehr ähnlich.» Delaneys Stimme klang anerkennend. «So etwa stelle ich mir das auch vor. Nur fürchte ich, den Kopf hat er deshalb noch nicht verloren. In Wahrheit ist er nämlich ein ziemlich hartgesottener Bursche. Nicht mit der Wimper gezuckt hat er, als ich ihn überraschend bei sich daheim besuchte. Vermutlich bewahrt er die Skizzen bei sich auf, in einer von seinen wunderhübschen Vitrinen.»
«Meinen Sie nicht, er hat sie im Büro in seinem Safe?» fragte der Sergeant.
«Das halte ich für unwahrscheinlich», entgegnete Delaney. «Da ist zuviel Betrieb, dauernd gehen Leute ein und aus. Das wäre zu gefährlich. Seine Wohnung, dieses Schmuckstück, ist zugleich auch sein Versteck. Da nährt er seine heimlichen Träume, und bestimmt bewahrt er die Skizzen dort auf. Und er kann sich ebensowenig dazu bringen, sie zu vernichten, wie Mama Perez es fertigbrächte, ihren auf Samt gestickten Jesus am Kreuz anzuspucken, obwohl es das einzig Vernünftige wäre - ich meine, die Skizzen zu vernichten. Das sind für ihn geweihte Gegenstände, schöne Dinge eben.»
«Wie wäre es mit einer kleinen Hausdurchsuchung?» schlug Boone vor.
«Tja … könnte nötig werden. Aber jetzt noch nicht.»
Jason T. Jason hatte dieser Unterhaltung aufmerksam zugehört und auch das meiste verstanden. «Wie wollen Sie ihn denn aber nun festnageln?» fragte er jetzt.
Delaney gestand: «Ich weiß es selber noch nicht. Zunächst einmal müssen wir beweisen, daß sein Alibi nichts taugt. Und dann wüßte ich gern sein Motiv. Man kann eine Verurteilung erreichen, ohne dem Täter sein Motiv nachzuweisen, doch wenn man es kennt, ist es einfacher, vor allem, wenn man über so wenig Belastungsmaterial verfügt wie wir.»
Boone schüttelte nachdenklich den Kopf. «Es ist doch sehr sonderbar,
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