Die zweite Wirklichkeit
Wand. Hinter ihr fiel eine Tür mit hallendem Krachen ins Schloß.
»Nun, was haben Sie mir zu erzählen?« fragte Detective Jeff Warner.
Lilith schluckte trocken; ihr Blick flackerte.
»Was soll ich Ihnen zu erzählen haben?« fragte sie.
»Etwas über eine mysteriöse Serie von Genickbruch-Morden beispielsweise?« schlug der Polizist vor. Sein Lächeln war freudlos, nicht einmal freundlich.
»Was sollte ich darüber wissen?«
»Daß Sie dahinterstecken!« antwortete Warner und wies in eine Ecke der Verhörkammer.
Lilith war sicher, daß der Winkel eben noch leer gewesen war. Jetzt war er es nicht mehr. Aus dem Nichts war etwas dort aufgetaucht - eine Leiche. Beth MacKinsay, die mit unnatürlich abgewinkeltem Kopf am Boden lag und Lilith aus glanzlosen Augen anstierte.
»Das ...«, setzte Lilith an.
»Wollen Sie mir erzählen, daß Sie das nicht gewesen sind?« knirschte Jeff Warner und beugte sich über den Tisch zu Lilith hin, während er mit der rechten Hand anklagend in Beth' Richtung wies.
»Doch, aber ...«, erwiderte sie bebend.
»Fein«, sagte Warner. »Erzählen Sie mir, wer Sie sind, was Sie sind. Und es wird sich strafmildernd auswirken.«
Seine Stimme - sie klang mit einemmal anders .
»Was?« fragte Lilith verwirrt.
Warner griff nach der Schreibtischlampe, die auf dem Tisch stand (woher kam sie plötzlich? Eben war der Tisch noch leer gewesen? Lilith verschwendete keinen weiteren Gedanken daran ...), und richtete den Lichtkegel gegen die Delinquentin.
»Rede, Lilith Eden!« donnerte Warner. Sein Gesicht verzerrte sich, veränderte seine Form, wurde zu .
Lilith erkannte nicht, was daraus wurde. Das Licht nahm ihr die Sicht. Es strahlte, war gleißend hell, tausendfach blendender, als es eigentlich hätte sein dürfen. Es war - nicht irdisch . Aber vertraut.
Lilith zwang sich, die Augen offenzuhalten. Ließ das Licht eindringen.
Etwas mengte sich in das schmerzende Weiß, ein anderer Farbton. Purpur .
Der Boden unter ihren Füßen begann zu beben, als würde etwas von unten dagegen stoßen. Dann brach der Beton, knirschend und krachend, als etwas sich hindurchschob und in den Raum wuchs.
Ein . Baum?
Lilith beobachtete stumm und starr, was weiter geschah. In der Tat sproß ein Baum aus dem Boden, wucherte in unmöglicher Geschwindigkeit, trug Früchte - Äpfel ...
Jeff Warner griff nach einem davon, führte ihn zum Mund - und schob ihn zur Gänze hinein! Lilith konnte hören, wie seine Kiefer brachen, konnte sehen, wie er sich die Frucht regelrecht in den Hals schob. Er mußte daran ersticken, aber er wurde durchscheinend und ... weiter bekam sie es nicht mehr mit.
Äste und Zweige des Baumes schnellten in ihre Richtungen, trafen sie schmerzhaft und peitschten sie förmlich hinaus aus der Kammer, die hinter ihr in Schwärze versank.
Lilith setzte ihren Weg durch das Labyrinth fort. Wieder langte sie bei einem Durchgang an. Diesmal versuchte sie, nur den Kopf unter dem Mauersturz hindurchzustrecken - - und sah eine Treppe.
Keine von der Art, wie sie ringsum überall und nirgends hinführten. Diese Stufen führten hinab in eine leicht muffig riechende Tiefe, in einen Keller.
In den Keller?
In den Keller ihres Elternhauses?
Ein eigentümliche Gefühl überkam Lilith. Ein Gefühl der Sicherheit, der Überzeugung, daß dies die richtige Tür war. Jene, die aus allem hinausführen konnte. Der Keller mochte der Ort sein, an dem der Wahnsinn enden konnte. Weil dort - alles begonnen hatte?
Sie verstand den eigenen Gedanken nicht. Er war in ihr, als gehörte er seit Anbeginn dorthin, doch sein Sinn blieb ihr verwehrt. Noch. Sie würde ihn finden, wenn sie nur dort hinunterstieg.
Lilith schritt durch die Maueröffnung.
Und erwachte.
* Duncan kniete nicht nieder, weil das nackte Mädchen es ihm geheißen hatte. Vielmehr war es so, daß seine Beine ihn nicht länger trugen. Sie bebten wie Espenlaub und knickten einfach unter ihm weg. Gesenkten Hauptes kauerte er vor ihr.
Sie lachte, kehlig, dunkel, unangenehm.
Der junge Mann fror unter dem bloßen Geräusch. Und er erschauerte, als sie nähertrat. Unmittelbar vor ihm blieb sie stehen, ihre Scham auf einer Höhe mit seinem Kopf. Wie unter fremdem Willen hob er das Gesicht, sah sich ihrem nur spärlich behaarten Venushügel gegenüber. Ihr zarter Duft ließ Hitze in ihm aufschießen wie ein Geysir.
»Nimm mich«, gurrte sie.
Er spürte ihre Hände in seinem Haar. Sanft, aber doch mit Nachdruck versuchte sie sein Gesicht ihrem Unterleib
Weitere Kostenlose Bücher