Die Zweitfrau
immer noch nicht ganz klar, was das alles mit unserer Situation zu tun hat. Ich bin ein wenig ratlos.
„Weißt du, mein Großvater hat mir immer gesagt, dass ich mir nichts zuschulden kommen lassen darf. Ich müsste immer besser sein als die anderen Kinder. Dürfe keinen Unfug anstellen. Immer korrekt sein, das war ihm wichtig. Er wollte einfach nicht, dass unser Name noch mehr beschädigt wird.“
„Ist deine Mutter daheim geblieben, als Sie schwanger wurde?“
„W o denkst du hin! Sie musste sofort das Dorf verlassen, ist nach Freiburg in ein christliches Haus gegangen und hat dort in der Klinik entbunden.“
„Ach, dann bist du in Freiburg geboren? Ich auch, allerdings Jahre später. Wir haben uns also schon einmal verpasst. Aber mit Kind konnte sie wieder nach Hause kommen? Ich meine, schwanger zu sein war nicht möglich, aber mit Kind erscheinen, das war möglich?“
Ich bin fassungslos. Natürlich, es war eine ganz andere Zeit. Was heute fast schon normal ist, ging damals gar nicht. Wie furchtbar.
„Ja, wir haben uns schon mal „verpasst“, wie du es nennst. Meine Mutter konnte viele Jahre nicht mehr im Dorf leben. Aber meine Großeltern haben sich gekümmert, sind auch mal zu Eltern gegangen, haben mit ihnen geredet, wenn ihre Kinder mich beschimpft haben. Natürlich haben meine Großeltern gewusst, dass das Wort „Bastard“ nicht von den Kindern kam, sondern dass sie es gehört haben mussten von den Eltern. Und da ist mein Großvater schon böse geworden und dazwischen gefahren.
Ich musste also immer brav sein, was ja völlig unmöglich war. Aber ich hab mich bemüht, war fleißig in der Schule, hab dann sofort meine Lehre angefangen. Als es möglich war, hab ich die Meisterschule in Abendkursen besucht. Das war nicht leicht. Damals kannte ich schon meine Frau und eigentlich wollten wir Zeit miteinander verbringen. Aber mir war das wichtig. Ich wollte möglichst schnell „Meister“, wollte endlich „jemand“ sein. Wir haben geheiratet, unsere beiden Ältesten sind zur Welt gekommen und dann haben wir a ngefangen zu bauen. Was denkst du, wie über mich geredet worden ist! Alle haben damals gesagt, dass ich das nicht schaffen werde, finanziell. Dass ich mich übernehme, aber ich hatte alles gut durchgerechnet und war mir sicher, dass wir das schaffen. Und es hat ja auch geklappt. Mancher meiner Schulkameraden hat es nicht geschafft, obwohl die einen guten familiären Hintergrund hatten. Ich bin in der Firma geblieben und hab mich langsam hochgearbeitet. Heute bin ich in der Geschäftsleitung. Dann noch im Gemeinderat, im Ortschaftsrat, im Aufsichtsrat der Bank. Ich habe bewiesen, dass ich ein „anständiger“ Mensch geworden bin, obwohl ich unehelich geboren wurde.“
Peter schaut mich an, will sehen, ob ich verstehe, was er mir da erzählt hat. Natürlich verstehe ich die Worte, aber ich muss darüber nachdenken, was sie wirklich bedeuten.
„Ich hoffe, du glaubst mir, wenn ich dir sage, dass ich dich liebe. Ich tue das wirklich. Es gibt keinen Tag, an dem ich mir nicht wünsche, dass wir zusammen sind. Aber der Gedanke, ich verliere meine Kinder, der macht mich wirklich fertig. Das will ich nicht. Ich könnte so nicht leben. Vielleicht wenn auch der Jüngste endlich soweit ist, dass er sein eigenes Leben lebt, aber vorher auf keinen Fall.“
Natürlich - ich verstehe seine Gedanken schon. Auch für seine Ängste, der Kinder wegen, bringe ich Verständnis auf; aber ich bin gleichzeitig bekümmert. Was kann ich ihm bedeuten, wenn es so überaus wichtig für ihn ist, vor anderen Leuten „gut“ da zu stehen?
Der Abschied tut weh, als er geht. Und auch er selbst, so scheint es mir, ist nicht zufrieden mit sich selbst, mit seinen Erklärungen auch nicht. Ich nehme ihn bei Abschied fest in den Arm. Was er mir erzählt hat, hat mich stark berührt. Ich fühle die Einsamkeit, die er als Kind gespürt haben muss und bin traurig darüber.
Wir werden wieder miteinander reden, wenn die Feiertage vorüber sind
Kapitel 12
Über die Feiertage denke ich immer wieder über die Situation nach. Mir wird klar, dass es für Peter ungeheuer wichtig ist, was „die Leute“ über ihn denken. Und dass er Angst hat, die Liebe seiner Kinder zu verlieren, das verstehe ich auf jeden Fall. Er möchte anerkannt und respektiert werden. Er hat ja lange darum gekämpft. Er ist fast „geimpft“ von seinem Großvater, dessen Ansprüchen an ihn. Bisher hat er sein ganzes Leben danach ausgerichtet, jedem zu
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