Die Zweitfrau
schaffst das, dann ist es in Ordnung.“
Wir sind froh, als es vorbei ist. Und auch dann braucht der Körper sehr viele Wochen, bevor sich Peter wieder einigermaßen wohlfühlt. Ganz langsam ordnet sich alles. Die Schwierigkeiten beim Essen lassen nach, der Körper kann erstaunliche Dinge leisten, wenn es erforderlich ist. Hin und wieder ist ihm anfangs noch schlecht, aber auch das geht vorbei.
Als die Bestrahlung beendet ist und auch die Nachwirkungen verschwunden sind, beschließen wir, dass wir grillen wollen auf unserem Balkon. Ein Festessen sozusagen. Der Sommer hat die Gegend immer noch fest im Griff, es ist tagsüber meist über 30° C heiß und so sitzen wir am Abend auf unserem Balkon, wo es angenehm warm ist und grillen. Wir haben dafür extra einen Elektrogrill gekauft, denn wir wollen kein Risiko eingehen und das Haus eventuell abfackeln. Das würde uns noch zu unserem Glück fehlen. Viel kann Peter natürlich nicht essen, aber er genießt es und freut sich, dass er nun, bis auf wenige Termine zur Blutabnahme bei unserer Hausärztin, nicht mehr ständig unterwegs sein muss. Es geht ihm erheblich besser, schon weil wir den Grillabend erst zwei Wochen nach Beendigung der Tortur angesetzt haben . Er trinkt sogar ein Glas Wein, das ihm jedoch noch nicht so gut schmeckt. Die Geschmacksnerven sind noch nicht wieder im gewünschten Zustand. Es braucht Zeit, einfach alles sehr viel Zeit.
Kapitel 12
Als nun sämtliche Auswirkungen der Bestrahlung hinter uns liegen, beginnt eine relativ ruhige, schöne Zeit. Peter fängt wieder an regelmäßig seine Laufgruppe aufzusuchen und „stöckelt“ mit. Aber damit nicht genug: er läuft auch regelmäßig morgens, gleich nach dem Frühstück, wenn das Wetter mitmacht. Ansonsten verschiebt er das Laufen auf einen späteren Zeitpunkt. Aber er läuft täglich. Hin und wieder versucht er auch, ohne Stöcke zu laufen. Ein leichter Trab - muss jedoch bald einsehen, dass ihn dies zu sehr anstrengt und auch schmerzt. Aber er gibt nicht auf, versucht es immer wieder.
Natürlich kann er an den diversen Stadtläufen nicht mehr teilnehmen, das ist einfach unmöglich. Aber am 03.10.2010 will er den letzten Lauf beim Enzkreis-Cup unbedingt mitlaufen. Das ist sein erstes Ziel. Er sagt mir nicht, warum das so wichtig für ihn ist. Aber ich verstehe auch so: Mir ist sofort klar, dass er damit versucht , das vergangene Jahr einfach auszulöschen. Genau vor einem Jahr ist uns aufgefallen, dass irgendetwas nicht stimmt mit ihm. Kurz darauf haben wir die niederschmetternde Diagnose erhalten. Nun will er dem Schicksal zeigen, dass er gesiegt hat.
Schon seit längerer Zeit bin ich nicht mehr zu diesen Läufen mitgegangen, was vor allen Dingen daran liegt, dass wir nur noch ein Auto haben. Alles andere wäre einfach unnötig gewesen. Wenn zwei Menschen nicht arbeiten gehen müssen, dann reicht ein Auto völlig aus. Aber ohne ein zweites Auto wäre ich gezwungen gewesen, mit ihm mitzufahren. Um sich vorzubereiten ist er immer ein bis zwei Stunden vor Beginn des jeweiligen Laufes vor Ort. Und so haben wir beschlossen, dass ich zu Hause warte. Nun will ich jedoch auf jeden Fall bei seinem ersten Lauf wieder dabei sein und ich will ihn überraschen. Ich bleibe also ganz ruhig, sage ihm nichts, als er sich von mir verabschiedet. Meine Abschiedsworte sind:
„Pass auf mein Schatz und übertreibe nicht. Es ist ein Wunder, dass du überhaupt mitlaufen kannst. Du musst nichts beweisen. Wenn es also nicht geht, dann brich den Lauf ab. Versprich mir das.“
„ Du kannst dich darauf verlassen, ich übertreibe nicht.“
Ich „spucke“ ihm symbolisch über die Schulter und er geht.
Eine Stunde später fahre ich mit meiner Schwester zusammen los, um den Start des Laufes heimlich mitzuerleben. Wir haben gehofft, wir können Peter am Zieleinlauf überraschen. Aber wie das ja häufig im Leben ist, läuft alles ein klein wenig anders als geplant ab. Obwohl wir wahrhaftig aufpassen, läuft uns Peter über den Weg, kaum dass wir vor Ort sind. Er ist überrascht und freut sich sehr, dass wir - besonders ich - da sind. Vor dem Start drücke ihn kurz noch einmal fest und wünsche „toi, toi, toi“ Dann reiht er sich ein und es geht los. Um mich herum stehen viele Mitglieder der Laufgruppe, die alle erstaunt sind, dass Peter mitläuft. Es ist einerlei, dass er die Stöcke nutzt. Wir alle finden es unglaublich, dass er überhaupt mitlaufen kann. Hat es doch vor gar nicht so langer Zeit so ausgesehen, als
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