Die Zwerge
nehmen. Ich habe die Farben der Bänder schlicht verwechselt! Ich war mit den falschen Artefakten unterwegs.
Selbst wenn er Gorén lebend im Grünhain angetroffen hätte, wäre er die vielen Meilen umsonst gelaufen. Dieser Umstand schien sich nun ins Gute zu kehren.
Dem Zwerg gelang es nicht, aus den Worten schlau zu werden. Der Grund, warum sich Nudin und sein Famulus benahmen, als wären sie die neuen Herren des Stollens, erschloss sich ihm noch nicht, aber dass Eiden trotz seiner schweren Verletzungen lebte und sich gänzlich anders benahm als sonst und Nudin die Albae als Verbündete bezeichnete, weckte einen fürchterlichen Verdacht in ihm. Der Wissbegierige schien aus unerfindlichen Gründen die Seiten gewechselt zu haben.
Er musste herausfinden, wie es seinem Ziehvater und den anderen Schülern ergangen war, ohne dabei Nudin in die Hände zu fallen.
»Da war noch etwas«, grübelte der Famulus. Er suchte kurz und zog zwei Briefe aus dem Stapel hervor. Es waren die Nachrichten, die Tungdil unterwegs an seinen Mentor gesandt hatte. »Lot-Ionan erhielt Briefe von einem Tungdil, der Gorén in seinem Auftrag im Grünhain suchte.«
Er reichte die Schriftstücke an seinen Herrn weiter, der die Zeilen mit rot geäderten Augen überflog. »Ich entsinne mich«, meinte er. »Natürlich! Der alte Mann hatte einen Zwerg mit diesem Namen in seiner Obhut. Womöglich besitzt er die Bücher und die Artefakte.« Nudin warf den Brief auf den Tisch. »Ich werde die Albae auf seine Fersen heften, sie finden seine Spur und bringen ihn mir, tot oder lebendig. Ein Zwerg ist im Geborgenen Land nicht alltäglich.« Er nickte dem jungen Zauberlehrling zu. »Sehr gut, Famulus, auch wenn dir der Einfall ein wenig spät kam. Du wirst deinen Lohn erhalten, wenn ich eintreffe. Suche weiter, vielleicht findest du noch mehr Nützliches.« Das Abbild flackerte, wurde durchsichtig und verschwand.
Tungdil hatte schon so viel erlebt, dass er dachte, man könne ihn nur schwer aus der Bahn werfen, aber seinem eigenen Todesurteil zu lauschen und dabei nicht einen einzigen Ton von sich geben zu dürfen, stellte eine große Herausforderung dar.
Der Famulus setzte sich, und auf seinem Gesicht spiegelte sich eine große Zufriedenheit. Er hatte seinen Meister beeindruckt und sich damit ein wenig des begehrten Wohlwollens gesichert. Von neuem vertiefte er sich in die Papiere.
Als er den Federkiel ins Tintenfass tunkte, um etwas auf seiner Liste zu vermerken, richteten sich seine Augen zufällig auf den Ohrensessel. Dabei bemerkte er den hervorstehenden Riemen des Rucksacks.
»Was, beim …?« Langsam erhob er sich und durchquerte die Kammer, um nach dem Gegenstand zu sehen, der sich vorhin noch nicht dort befunden hatte. Er bückte sich und hob den Ledersack mit den Artefakten auf.
Tungdil nahm seine Axt in die Hand. Er musste den Zauberer so überraschend wie ein Steinschlag treffen, damit ihm keine Zeit blieb, einen Spruch gegen ihn zu werfen und ihm zu schaden. Seine Muskeln spannten sich.
Er wollte gerade losstürmen, da erschallten lautes Gebrüll und Lärm vom Gang, das beide zusammenzucken ließ.
*
Die Zwillinge gaben sich dieses Mal Mühe, leise zu sein. Was auch immer in den Gängen hauste, sie wollten es nicht vorher warnen, wenn sie darüber herfielen und es in Scheiben schlugen. Wer Lange fraß, machte sicherlich auch vor Zwergen nicht Halt, doch ein Krähenschnabel und ein Beil im Schlund sorgten dafür, dass demjenigen der Appetit verging.
Irgendjemand kam ihnen mit schweren, langsamen Schritten entgegen.
Auf Boїndils Zeichen hin blieben sie stehen und warteten hinter einer Biegung auf das, was stöhnend durch den Gang schlurfte. Plötzlich roch es nach altem, verdorbenem Fleisch, und ein Mensch wankte um die Ecke.
Ein normales Lebewesen hätte sich mit diesen Verletzungen nicht länger auf den Beinen halten können, doch der Mann ging unbeirrt vorwärts. Als er die Zwerge sah, brüllte er voller Freude auf. Seine Bewegungen wurden plötzlich schnell, die Gier nach frischem Fleisch spornte ihn an. Das nutzte ihm jedoch nichts gegen die Erfahrung der beiden Krieger.
Boëndal tauchte seitlich unter dem Schlag des Untoten weg und hackte ihm ins Knie, damit er aus dem Gleichgewicht geriet und stürzte.
Eiden drückte sich ab und warf sich im Fallen gegen Ingrimmsch, der ihn mit einem Zwergenschrei begrüßte, die Arme mit den Waffen angriffsbereit erhoben. Er wich dem Körper aus, die Klingen zuckten nach vorne und
Weitere Kostenlose Bücher