Die Zwerge
vier Augen zu sprechen.
Neben ihr hockte der Krieger, den Rücken an einen Baumstamm gelehnt. Die Waffen lagen rechts und links neben ihm, fein säuberlich der Länge nach geordnet und sofort griffbereit. Der Zwerg konnte nicht sagen, ob der Mann unter seinem Helm schlief oder wachte.
»Lot-Ionan hat dich einiges gelehrt, wie ich höre«, antwortete sie langsam und ohne den Blick abzuwenden. »Ein gebildeter Zwerg, das ist selten im Geborgenen Land. Noch seltener als ein Zwerg.« Sie schwieg. »Soll ich uns beide quälen, in dem ich dir von dem Abend berichte, an dem der Verrat begangen wurde? Was bringt es dir zu wissen, wie dein Herr ums Leben kam?«
»Ich versuche zu verstehen, warum Nudin sich geändert hat.«
»Das versuche ich auch, Tungdil.« Andôkai drehte ihm ihr herbes Gesicht zu. »Mir gelingt es nicht.« Sie erzählte, wie es ihr an jenem Abend ergangen war. »Nudin griff mich ohne Vorwarnung an und schlug mich mit einem magischen Hieb nieder, dass meine Sinne schwanden.« Ihre Hand fuhr an ihr Kinn. »Ich streckte ihn mit einem Schwerthieb nieder, aber er durchbohrte mich mit seinem Stab. Danach erinnere mich nur noch an die Geräusche jener Nacht, die durch meine Ohnmacht drangen.« Die Frau atmete tief ein, streckte die Beine aus und legte den Kopf in den Nacken, um die Sterne zu betrachten. »Sie müssen sich sehr gewehrt haben, ihre Todesschreie werde ich mein restliches Leben nicht vergessen. Ich fühlte, wie mein Blut aus meinem Körper lief, ohne dass ich etwas dagegen unternehmen konnte.«
»Wie gelang es Euch zu überleben?«
Sie schaute zärtlich auf den regungslosen Krieger. »Djer_n. Nôd’onn vergaß, dass ich ihn mit in den Palast gebracht hatte. Er stahl sich in den Raum, als der Irre gegangen war, und behandelte meine Wunde. Ich war zu geschwächt, um mich dem Verräter zu stellen. Djer_n nahm sich eine Leiche aus einer Begräbnisstätte in der Stadt, zog ihr meine Sachen an und legte sie stattdessen ins Zimmer zu den anderen Toten, damit Nôd’onn annahm, ich sei keine Gefahr mehr für ihn.« Sie langte nach einem Ast und warf ihn ins Feuer. Knisternd tanzten die Funken in den schwarzen Himmel. »Ich bin auch lebend keine Gefahr für ihn«, sagte sie niedergeschlagen.
»Und … Lot-Ionan?«, verlangte Tungdil zu wissen.
»Als mich Djer_n wegbrachte, war dein Herr zu Stein erstarrt«, antwortete sie leise. »Nôd’onn hat ihn in eine Statue verwandelt.« Eine Träne der hilflosen Wut rann ihr aus dem Augenwinkel.
»Eine Statue«, wisperte der Zwerg, während er näher ans Feuer rutschte. »Ist es möglich, den Zauber …«
Die blonde Frau schüttelte den Kopf und verzichtete auf weitere Erklärungen. Sie saßen stumm nebeneinander, in den Gedanken an die Ermordeten versunken. Die Sterne drehten sich über ihnen, die Zeit verrann.
»Ihr wollt das Geborgene Land verlassen? Wohin? Was wird aus Eurem Reich?«, erkundigte sich Tungdil müde. Seine Augen brannten, weil er nicht einziges Mal geblinzelt, sondern das Farbenspiel des Lagerfeuers betrachtet hatte. Die Wärme der Flammen brachte seine Tränen zum Verdampfen, das Salz reizte die empfindliche Innenhaut. »Meint Ihr, in der Ferne wäre es besser, ehrwürdige Maga?«
»Es ist nicht klug, sich einem rollenden Fels in den Weg zu stellen, wenn man allein ist«, gab sie leise zurück. »Mir widerstrebt es, Leiden unnötig zu verlängern, also gebe ich mein Reich freiwillig auf. Was würde ich erreichen, böte ich Widerstand? Ich werde sehen, was hinter den Gebirgen ist. Das Geborgene Land hat seine Namen nicht mehr verdient.« Sie bedeutete Tungdil, dass er sich zurückziehen solle. »Ich möchte schlafen.«
»Meinen Dank, ehrenwerte Maga.« Tungdil kehrte zu den Zwillingen zurück und berichtete von den Vorfällen in der Hauptstadt Lios Nudin.
»Also sind die anderen Zauberer wirklich tot?«, staunte Ingrimmsch, während er sich ein Stückchen Käse aus seinem schier unerschöpflichen Vorrat grillte. »Dabei hat man sich die tollsten Geschichten über ihre Fertigkeiten erzählt.«
»Gegen einen verräterischen Dolch bringt der stärkste Schild nichts«, meinte sein Bruder und schob sich geröstetes Brot zwischen die Zähne. »Die Langen sind schon ein trauriges Volk. Da hatten die Götter einen schlechten Tag, als sie erschaffen wurden«, sagte er kauend. »Aber noch trauriger ist, dass sie das gesamte Land mit ins Verderben reißen.«
Tungdil nahm den angebotenen Käse und schob ihn sich in den Mund. Inzwischen liebte
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