Die Zwerge
zurückgewinnt.«
Nun standen sie so dicht beieinander, dass ihre Nasenspitzen sich fast berührten.
»Du redest von Verstand? Du?« Balendilín erkannte die Ablehnung in Bislipurs Augen, die unversöhnliche Feindseligkeit. »Dir sage ich, dass ich den Krieg gegen Âlandur verhindern werde, mein zwergischer Bruder«, zwang er sich zu sagen, um nicht den Eindruck zu vermitteln, er fürchte sich vor ihm; und doch ging von ihm eine bislang nie erlebte Gefährlichkeit aus. »Deine eigenen Clans geraten ins Grübeln.«
»Du wirst mich und Gandogar nicht davon abhalten, den Thron zu besteigen«, prophezeite ihm Bislipur düster. Er strahlte eine aufgestaute Gewalt und Brutalität, die binnen kurzem auszubrechen drohte.
»Dich und Gandogar? Was willst du denn auf dem Thron?«
Regungslos standen sie auf der Brücke, keiner wandte den Blick ab. Dann aber fiel die bedrohliche Haltung Bislipurs von einem Augenblick auf den anderen in sich zusammen.
»Ich wünsche dir viel Glück bei deinem hoffnungslosen Unterfangen und den Segen von Vraccas dazu«, meinte er leichthin, trat auf die Seite und ging an Balendilín vorüber.
Der Berater des Großkönigs schloss kurz die Augen und schluckte. Er hatte so fest mit einem Zweikampf gerechnet, dass er es noch gar nicht fassen konnte, ungeschoren auf die andere Seite der Brücke zu gelangen. Er hörte Bislipur ein Lied pfeifen, das Echo hallte und machte aus den wenigen Tönen einen Kanon.
Wenigstens wusste Balendilín nun, woran er mit ihm war. Erleichtert lief er über den festen Boden des Berges und beeilte sich, zum vereinbarten Treffpunkt mit den Zwergen der Vierten zu gelangen.
Er bog eben um die Ecke des Ganges, als die Erde unter seinen Füßen leicht bebte. Ein Mensch spürte solche Schwingungen nicht, doch sein Volk hatte gelernt, die Bewegungen der Berge zu fühlen. Etwa Schweres kam durch den Tunnel, in dem er stand.
Dann hörte er das Donnern vieler Hufe und aufgeregtes Muhen. Etwas musste die Kühe seines Stammes auf dem Rückweg in die Stallungen in Angst versetzt haben.
Verflucht. Balendilín blickte sich um, entdeckte jedoch nirgends eine Nische, die breit genug gewesen wäre, um darin Schutz vor den Hörnern des Viehs zu suchen. Es gab nur eine Möglichkeit für ihn: Er musste zurück zur Brücke und über die Brüstung auf den schmalen Rand klettern.
Hastig drehte er sich um und rannte los. Er hörte das Rumpeln der Hufe und das Schaben der Hörner an den behauenen Steinwänden, und das Geräusch verlieh ihm zusätzliche Kräfte. Keuchend erreichte er das Ende des Ganges und sah die rettende Brücke; hinter ihm schnaubten die Tiere dicht in seinem Nacken.
Der Zwerg hüpfte aus dem Lauf über die Brüstung auf den äußeren Brückenrand und balancierte sich auf den Steinen aus. Der Schwung drohte ihn nach vorn und damit in die Tiefe kippen zu lassen, doch das Kunststück gelang. Die Herde trampelte hinter seinem Rücken vorbei die Brücke entlang.
Ich danke dir, Vraccas.
Ein lautes Knistern lief durch das Bauwerk. Erste Risse zeigten sich auf der Brüstung, auf der er stand.
Balendilín erinnerte sich, dass die Brücke gewöhnlich nicht dazu diente, die Kühe zu tragen. Sie war für die Zwerge und nicht für deren Vieh errichtet worden. Das tonnenschwere Gewicht der Herde belastete die Konstruktion zu stark; die Schwingungen, die von den Bewegungen der Tiere stammten, wirkten vernichtend.
Die Brücke brach an der dünnsten Stelle in der Mitte an; die Seitenstützen knickten weg und läuteten die nächste Etappe der Katastrophe ein.
Ein vier Schritt langes Stück sackte mitsamt den Tieren, die sich darauf befanden, in den Abgrund. Die Zerstörung nahm von dort ihren Lauf, Stück um Stück brach die Brücke weg. Die Kühe verschwanden in der Tiefe, ihr Muhen wurde leiser und leiser, ohne dass der Zwerg einen Aufschlag vernahm.
Ich muss fort! Balendilín befand sich in großer Gefahr, denn die Bruchkante rückte näher, während hinter ihm die Herde starb und vor ihm die Schwärze lauerte.
Endlich blieb das Vieh stehen, und der Zwerg wagte es, einen Sprung mitten in ihre Reihen zu machen, um auf sicheren Boden zu gelangen.
Doch das Glück war ihm nicht hold. Kaum berührte er den Boden, gab der Fels unter seinen Füßen nach, im Fallen erhaschte er einen hervorstehenden Stein und klammerte sich mit aller Macht daran fest.
Hätte Balendilín einen zweiten Arm besessen, so hätte er sich ohne Schwierigkeiten in die Höhe und auf festen Boden ziehen
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