Die Zwerge
können; so aber pendelte er über dem Abgrund, unfähig, sich selbst zu helfen und auf Beistand angewiesen. Ewig würden es seine Muskeln und Sehnen nicht aushalten.
»Ho, hört mich jemand?«, rief er laut, um auf sich aufmerksam zu machen. Er baute all seine Hoffnungen darauf, dass die Hirten nach der durchgebrannten Herde schauten. »He, hier bin ich!«
Die Kühe beruhigten sich und antworteten auf sein Schreien mit leisem, einfältigem Muhen. Zwei der Tiere wagten sich bis an die Kante, schnupperten an seiner Hand und leckten sie ab. Ihr Speichel bildete eine kleine Lache und machte den Fels noch rutschiger.
Balendilín dachte, er wöge so viel wie drei ausgewachsene Orks. Sein Arm wurde immer länger und seine Stimme heiser.
Plötzlich bewegten sich die Kühe, denn jemand bahnte sich einen Weg durch ihre Leiber.
»Hierher!«, rief er erleichtert, denn seine Finger drohten abzurutschen. »Ich brauche Hilfe!«
Es raschelte, Staub rieselte von oben auf ihn herab und setzte sich in seinem Bart und den Haaren fest. Der Zwerg schaute in das dunkelgrüne Gesicht des Gnoms, auf dessen stattlicher Nase eine noch stattlichere Warze prangte. Die großen Augen musterten ihn gierig, und die klauenartigen Finger befühlten seinen Arm.
»Da ist er ja!« Swerds Oberkörper lehnte weit über der Kante, dann machte er sich am Gürtel des Zwergs zu schaffen. »Warte kurz, gleich habe ich es«, beruhigte er den Unglücklichen.
Es klickte, die Schnalle löste sich, und zufrieden zog Swerd sich zurück. Er hielt den gestohlenen Geldbeutel und die kostbare Gürtelschließe vor Balendilíns Augen. »So! Jetzt kannst du loslassen«, verkündete er, lachte meckernd und suchte das Weite.
»Warte! Komm zurück!«, brüllte der Zwerg fassungslos. »Du kannst mich doch nicht …« Seine Finger glitten ab. Alles Nachgreifen fruchtete nicht, denn die Lache aus schmierigem Speichel nahm ihm den Halt. Die Tiefe zog ihn zu sich hinab.
Da stieß plötzlich eine Axt von oben herab. Der kurze Stahlsporn bohrte sich in das Ringgeflecht seines Kettenhemds und verhakte sich, dann ging es aufwärts. Sein unbekannter Retter zog ihn mit der Waffe wie an einem Anker über die Kante.
Aufatmend sank er neben seinen vor Anstrengung keuchenden Helfer.
»Gandogar?!« Die Überraschung darüber, dass ausgerechnet der König der Vierten ihn vor dem Tod bewahrt hatte, stand Balendilín deutlich ins Gesicht geschrieben.
»Wir sind Gegenspieler, aber keine Feinde«, erklärte Gandogar mit einem schiefen Lächeln. »Wir sind ein Volk, die Kinder des Schmieds. Unsere Feinde sind die Kreaturen Tions, nicht unsere eigenen Stämme und Clans. Das habe ich über unserem Streit nicht vergessen.« Er stemmte sich in die Höhe und half auch dem Einarmigen aufzustehen. »Was ist geschehen?«
Dankbar ergriff der Zwerg die dargebotene Hand. Der Thronanwärter sprach und handelte voller Aufrichtigkeit, daran zweifelte er nach dieser Großtat keinen Lidschlag mehr. »Die Herde muss ihrem Hirten durchgegangen sein«, schätzte Balendilín.
Mehr wollte er nicht preisgeben. Ehe er Anschuldigungen aussprach, benötigte er sichere Beweise, dass Swerd und damit Bislipur hinter dem Anschlag steckten, der gewiss alles andere als ein Zufall war. Das allzu rasche Auftauchen des Gnoms hatte ihn davon überzeugt, dass Gandogars Mentor es auf sein Leben abgesehen hatte, denn Swerd tat wiederum nichts ohne das Geheiß seines Herrn.
»Ich verdanke dir mein Leben«, sagte er ernst. »Ich werde in unserem Streit um den Krieg gegen die Elben genauso unnachgiebig sein wie zuvor, aber ich stehe zutiefst in deiner Schuld.«
»Etwas anderes habe ich nicht von dir erwartet«, antwortete Gandogar freundlich. »Du hättest in der gleichen Lage dasselbe für mich getan.«
»Sei dir da nicht allzu sicher«, gab Balendilín schmunzelnd zurück. »Ich hätte schließlich eine sehr gute Ausrede gehabt, dir nicht beizustehen.«
»So?«
»Wie sollte ich dich hochziehen, mit nur einem Arm?«, lachte der Zwerg, und der König stimmte nach kurzem Stutzen mit ein. Balendilín bedauerte es sehr, dass sie unterschiedlicher Meinung waren. Sonst, das sagte ihm sein Gefühl, wäre Gandogar genau der richtige Thronfolger.
Als er in seine Unterkunft zurückkehrte, war er sich sicher, von Anfang an in eine Falle gelaufen zu sein. Die Vierten, die sich mit ihm treffen wollten, gab es nicht.
Dafür lagen seine Gürtelschnalle und sein Geldbeutel vor der Tür. Offenbar hatte sich der Gnom eines Besseren
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