Die Zwerge
Zwei seiner Soldaten erkannten die Lage und eilten ihrem Herrscher zu Hilfe, um ihn in einen Graben neben dem Weg zur Stadt zu legen. Das war der sicherste Ort, so lange die behauenen Felsbrocken umherflogen.
»Verdammter Magus!«, fluchte Lothaire und biss die Zähne zusammen, als eine Schmerzwelle durch sein Bein fuhr. Die gefürchtete Magie war zum Einsatz gekommen und brachte mannigfaltigen Tod über die verbündete Truppe. Er wollte sich lieber nicht ausmalen, aus wie vielen Steinen sich diese Seite der Mauer zusammensetzte und wie viele Geschosse Nôd’onn damit zur Verfügung standen.
Als das Poltern aufhörte, wagte es der König, über den Rand des Grabens zu spähen.
Der flache Platz vor den Stadttoren war übersät mit großen und kleinen Quadern; selbst die Fundamentbrocken, die so lang wie ein ausgewachsener Mann waren, hatten ihren angestammten Platz verlassen und waren von den unsichtbaren Kräften des Magus umhergewirbelt worden. Hier und da schauten Gliedmaßen, geborstene Lanzen, verbogene Schilde und geknickte Speere unter dem Stein hervor und zeigten auf groteske Weise, wo ein Soldat erschlagen worden war.
Lothaire blickte über die Trümmer hinweg auf die ungeschützten Straßen und Häuser Poristas, die ohne Mauer und völlig wehrlos vor dem Herrscher Urgons lagen. Nur die beiden Türme, welche die Tore hielten, befanden sich noch an ihrem Platz.
»Das ist die Gelegenheit«, presste er unter Qualen hervor. »Wir müssen angreifen.« Mithilfe der beiden Krieger verließ er den Graben, um die Truppen zu einer neuerlichen Attacke anzufeuern.
Anstelle der zwanzigtausend Krieger hatten die Steine ihm gerade einmal dreitausend gelassen, die sich größtenteils auf der Flucht vor den unheimlichen Kräften befanden. Ich kann es ihnen nicht einmal verdenken.
Als die Soldaten ihn sahen, schöpften sie neuen Mut. Eine Schar von fünfzehnhundert fand sich zusammen, die sich anschickte, in die Hauptstadt des Magus einzufallen und in den Palast vorzudringen.
Da bewegten sich die Steine erneut. Die großen flogen zuerst einer nach dem anderen empor und gingen an der Stelle nieder, an der sie vor dem Hagel gewesen waren; die kleinen folgten und setzten sich aufeinander, bis sich die Stadtmauer vor den entsetzten Angreifern wieder völlig intakt auftürmte; dieses Mal schimmerte sie jedoch feucht und rot vom Blut der Erschlagenen.
Lothaires Mut und die Zuversicht, etwas gegen Nôd’onn auszurichten, schwanden; er sank ins nasse, vom Lebenssaft seiner Leute getränkte Gras und starrte auf das Bollwerk, das sie niemals überwinden würden. Vereinzelt entdeckte er Metallstücke, Überbleibsel von Waffen und Überreste seiner Soldaten an der Mauer, die wie Trophäen zur Schau gestellt wurden und die Angreifer verhöhnten, um sie zu einem neuerlichen, vergeblichen Versuch herauszufordern. Was soll ich dagegen ausrichten, ihr Götter?
Ratlos standen die Krieger mit gezückten Waffen umher. Er hoffte noch auf eine Eingebung, als die Stimme des Zauberers von oben auf sie herabschallte.
»Seid Ihr gekommen, um mir ein Heer zu bringen, König Lothaire?«
»Erfreut Euch Eurer blutigen Genugtuung, Nôd’onn«, rief er wütend zurück, »sie wird nicht lange währen.«
Der Magus, gekleidet in eine dunkelgrüne Robe, trat an eine Schießscharte; Lothaire erkannte sein feistes Gesicht als breites, weißes Oval. »Ihr habt Euch vortäuschen lassen, auf eine wehrlose Stadt zu treffen. Es war nicht das Einzige, auf das Ihr hereingefallen seid. Das menschliche Auge ist leicht zu übertölpeln.« Seine Hände beschrieben eine seltsam anmutende Bewegung. »Ich wünsche Euch viel Erfolg bei Eurem letzten Kampf, Prinz. Seid versichert, dass Ihr nicht gegen Trugbilder, sondern gegen echte Gegner fechten werdet.« Mit diesen Worten trat er in den Schatten der Zinne und verschwand.
Lothaire blickte sich um, und das Entsetzen lähmte ihn. Das grüne Gras zwischen seinen Fingern verfärbte sich zu grauen Halmen, die eben noch farbenprächtigen Bäume verloren ihre Schönheit und senkten die Äste, deren Blätter schon längst am Boden lagen. Der Magus hatte das Heer auf das Gebiet des Toten Landes gelockt und eine Illusion der heilen Welt gewoben, um sie in Sicherheit zu wiegen.
Lothaire verstand, was das für ihn und das Schicksal der fünfzehnhundert Männer bedeutete.
Was darauf stirbt, ist nicht tot, erinnerte er sich an die Erzählungen über die unheimliche Macht aus dem Norden, und Furcht vor dem Kommenden
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