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Die Zwerge

Die Zwerge

Titel: Die Zwerge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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verblasst, und der abgesprungene Putz riss faustgroße Löcher in die Darstellungen von irgendwelchen Menschengöttern, die den Zwergen völlig fremd waren. Für sie gab es maßgeblich nur Vraccas, alles andere hätte nicht sein müssen.
    Das große Feuer brachte rasch Wärme in den Raum, und das weiche Licht machte die von Rissen überzogenen Statuen lebendig.
    Tungdil musste an die Aufführung im Curiosum denken, wo er vieles gesehen hatte und immer noch nicht wusste, ob es sich auf der Bühne ereignet oder ob ihm seine Vorstellungsgabe einen Streich gespielt hatte. Es sah so echt aus.
    Bavragor kehrte zurück, nachdem er die eingefallenen Räume durchstreift hatte. Brummelnd begutachtete er die Steinmetzarbeiten. »Sie waren zwar gute Handwerker, aber nicht gut genug, um sich mit den Zwergen zu messen«, lautete sein Urteil.
    Tungdil reichte ihm Brot und Schinken. »Darf ich dich etwas fragen?«
    Bavragor nahm das Essen entgegen. »Das klingt nach einer ernsten Angelegenheit.«
    »Es beschäftigt mich die ganze Zeit. Die Sache mit deiner Schwester …«
    »Smeralda.« Bavragor legte sein karges Mahl auf den Stein nahe der Flammen, damit es wärmer wurde und sich der Geschmack des Fleisches besser entfaltete. »Er wird seine Schuld von mir niemals vergeben bekommen«, sagte er bitter, nachdem er sich einen langen Schluck aus seinem mit Branntwein gefüllten Trinkschlauch gegönnt hatte.
    Tungdil drängte ihn nicht; er spürte, dass er die Geschichte an diesem Abend zu hören bekäme, und behielt Recht.
    »Smeralda war ein junges Ding von gerade einmal vierzig Sonnenzyklen, als er seine wahnsinnigen Augen auf sie warf und beschloss, dass sie sein werden sollte. Sie war fast so kriegerisch wie er, sie übte den Umgang mit der Axt und träumte davon, ihm beizustehen«, begann Bavragor, und seine Fäuste ballten sich, während seine Erinnerung die Vergangenheit lebendig machte. »Wir haben ihr verboten, ihn zu sehen, weil wir Angst hatten, dass er ihr in seinem Wahn etwas antun könnte. Doch sie widersetzte sich unserem Vater, und sie trafen sich weiterhin. Eines Tages, als sie ihm an der Hohen Pforte im Kampf beistehen wollte …« Bavragor bedeckte das verbliebene Auge mit der Linken, die Rechte führte den Trinkschlauch an den Mund. »Er hat sie erschlagen. Sein vom Kampfrausch geblendeter Verstand erkannte sie nicht und hielt sie für eines der Ungeheuer.«
    Tungdil schluckte, um den Kloß in seiner Kehle hinunterzuwürgen.
    »Smeralda und ein Ungeheuer … Sie sprachen danach von einer Tragödie und einem schrecklichen Unglück, und er selbst sagte, er könne sich an nichts erinnern. Doch mir ist es gleich, Tungdil. Er hat meine Schwester getötet. Würdest du jemandem so etwas vergeben? Ich will es nicht.«
    Tungdil wusste nicht, was er dem Steinmetzen antworten sollte.
    Die Geschichte rührte ihn zutiefst. Mitfühlend legte er eine Hand auf Bavragors Arm. »Verzeih, dass ich dich so gequält habe«, sagte er und beließ es dabei.
    Die eigenen Erinnerungen an den Verlust von Lot-Ionan und Frala, die er wie eine Schwester geliebt hatte, packten ihn. Ich kann ihn zu einem Teil verstehen.
    »Sei’s drum.« Bavragor atmete tief ein und spülte die Erinnerungen mit Branntwein herunter; sein Essen rührte er an diesem Abend nicht mehr an.
    Tungdil hob den Kopf und schaute zu Boїndil, der auf seinem Posten saß, die Pfeife zwischen den Lippen, und aufmerksam über ihre Sicherheit wachte. Die blauen Rauchkringel stiegen in den Himmel, und er glaubte das Zischen zu hören, wenn eine Schneeflocke auf den heißen Tabak traf.
    »Seine heiße Lebensesse ist ein Fluch«, sagte Boëndal traurig. »Er weiß bis heute nicht, was damals auf der Brücke geschah, und erinnert sich nur daran, wie er Smeralda tot vor sich liegen sah. Er dachte, die Orks hätten ihm seine Liebe genommen, aber als er von Bavragor und den anderen hörte, dass er selbst es gewesen sein sollte …«
    »Und wo warst du?«
    »Ich war verwundet, und Vraccas weiß, wie sehr ich diesen Umstand bis heute verfluche. Ich bilde mir ein, dass sie noch leben könnte, wenn ich an seiner Seite gewesen wäre.« Er kratzte an einer rostigen Stelle seines Kettenhemds und behandelte sie mit Öl. »Manchmal ruft er ihren Namen in seinen Träumen. Er leidet mindestens so sehr wie Bavragor, das kann ich dir versichern, aber zugeben würde er es niemals, Gelehrter.«
    Sie stopften eine zweite Pfeife und wechselten sich mit dem Rauchen ab, während jeder seinen Gedanken

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