Die Zwerge
herein.
Wenn sich die Orks aus Toboribor auch noch auf die Seite des Toten Landes stellen, geraten die Magi in Bedrängnis, dachte Tungdil besorgt. Sie vermochten mit ihrer Zauberkraft vieles, aber an mehreren Orten gleichzeitig zu sein, das war auch ihnen nicht möglich.
Wenigstens wissen sie nun, dass sich die Orks mit dem Toten Land verbündet haben! Seine Nachricht müsste inzwischen bei Lot-Ionan angekommen sein.
Der Weg durch die abwechslungsreiche gauragarische Landschaft tat sein Möglichstes, Tungdil für die Ereignisse am Anfang seiner Reise zu entschädigen. Der Frühling brachte die Natur dazu, sich trotz des Regens in satten, vollen Farben zu zeigen, aber der Zwerg achtete kaum auf die bunte Pracht der Hügel, Wälder und Ebenen. Bald kam er an einem verlassenen Palandiell-Heiligtum vorbei, einem kleinen, hellen Bau mit vielen Fenstern und eingemeißelten Ornamenten, die für Schutz und Fruchtbarkeit standen.
Es war ein Schrein jener Göttin, an welche die überwiegende Mehrheit der Menschen glaubte. Sie war Tungdil zu sanft, zu beliebig; er hielt es eher mit Vraccas, dessen Tempel man nur gelegentlich in größeren Städten sah, wie er aus Büchern wusste.
Einige Menschen verehrten die Wassergöttin Elria, manche den Gott Samusin, der für den Wind sorgte und auf den Ausgleich zwischen Gut und Böse bedacht war. Ihm waren die Bestien ebenso recht wie die Menschen, Elben und Zwerge. Tion aber, der Erschaffer der schlimmsten Ungeheuer, war mehr verhasst, als dass er verehrt wurde. Ich kenne niemanden, der sich zu ihm bekennen würde, dachte Tungdil. Die Bediensteten Lot-Ionans, darunter auch Frala, beteten Palandiell an.
Er selbst hatte sich einen kleinen Vraccas-Altar in seiner Schmiede eingerichtet und opferte dem Schöpfer der Zwerge, der die fünf Stammväter aus dem härtesten Granit geschlagen und ihnen Leben gegeben hatte, gelegentlich ein wenig Gold, das er in seiner Esse verbrannte. Er wusste nicht, ob die anderen Zwerge das ebenso hielten wie er, aber er fand es angemessen, Vraccas nur das Edelste darzubieten.
Seine braunen Zwergenaugen schweiften über den einsamen Schrein, an dem Ranken emporwuchsen. Die Menschen werden bald wieder öfter zu ihr beten, schätzte er.
Wenig später musste er den Weg verlassen, um einem gewaltigen Trupp schwer gepanzerter Reiterei König Brurons Platz zu machen. Scheppernd und rasselnd zogen die Kämpfer an ihm vorüber; der Schlamm spritzte hoch und beschmutzte seinen Umhang. Er zählte zweihundert Soldaten. Ob sie gegen eine Rotte Orks ausreichten?
Die Kunde über die große Zahl von Bestien in Idoslân hatte sich in Windeseile verbreitet; der Zwerg erkannte es daran, dass ihm immer häufiger Patrouillen begegneten. König Bruron von Gauragar wollte sich nicht darauf verlassen, dass König Tilogorn die Orks niederwarf, sondern traf eigene Vorkehrungen, um sie aufzuspüren und anzugreifen.
Tungdil freute sich, dass seine Botschaft von den Menschen ernst genommen wurde. Sicher, in den Geschichtsbüchern würde später wohl kaum erwähnt werden, dass er, Tungdil Bolofar, der Zwerg ohne Stamm und Clan, einer Bauernfamilie vom Untergang Gutenauens erzählt und diese es der königlichen Administration zu Turmweihler gemeldet hatte. Darauf kam es ihm auch nicht an, aber er wusste es, und es gefiel ihm.
Der Zwerg übernachtete meist im Freien, nahm gelegentlich eine Scheune in Anspruch und gönnte sich nur einmal einen weiteren Aufenthalt in einer Schenke. Lieber sparte er seine schwindende Barschaft.
Die Wunde war nach neun Sonnenumläufen vollständig verheilt. Die Strapazen der Reise hatten ihn etwas von seinem Gewicht gekostet, der Gürtel saß zwei Löcher enger als gewöhnlich. Er schnaufte nicht mehr so, wenn er Anhöhen hinaufstieg; das Laufen kam der Ausdauer zu Gute, und die Füße hatten sich ebenfalls an das tagtägliche Marschieren gewöhnt. Nachts befielen ihn gelegentlich Erinnerungen an das zerstörte Gutenauen. Diese Grausamkeit musste sein Verstand noch verarbeiten.
Nach einigen weiteren Sonnenumläufen entdeckte er endlich den Tafelberg. Der Felsbrocken sah wirklich so aus, wie ihn Opatja ehrfurchtslos mithilfe des Käses dargestellt hatte, nur dass er nicht gelb war, ganz im Gegenteil.
Das Licht beschien die breiten, schluchtartigen Risse in der glatten Wand, die senkrecht nach unten abfiel. Der düstere Felsbrocken lag wie ein Stück hingeworfener Stein in der Landschaft und wurde von dunkelgrünen Tannen umschlossen. Angesichts der
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