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Die Zwerge

Die Zwerge

Titel: Die Zwerge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Löcher in seinem Inneren waren so zahlreich geworden, dass er einbrach und die Gierigen unter sich begrub.
    So verlor der Berg seine Schönheit und seine Größe.
    Seitdem verfolgt er Menschen und Zwerge mit seinem Hass. Der verstümmelte Fels wurde im Lauf der Zeit schwarz vor Boshaftigkeit.
     
    Das Feuer knackte laut. Kerolus warf ein Scheit nach, damit die Flammen aufloderten und die Dunkelheit vertrieben.
    Ich habe die Bösartigkeit des Schwarzjochs gleich gespürt, dachte Tungdil. Dass Gorén sich ausgerechnet dort wohl fühlte, verstand er nicht. Es sagte zumindest viel über sein Gemüt aus.
    »Im Wald streifen Wesen umher, die jedem Wandersmann den Tod bringen, heißt es. Der Berg hat sie gerufen und ihnen fette Beute versprochen«, erklärte der Trödler schaudernd. »Wenn ihr Hunger zu groß wird, kommen sie zwischen den Tannen hervor, um die Dörfer heimzusuchen. Sie fressen alles, Mensch und Tier.«
    »Es ist gut, Gesellschaft zu haben«, sagte Tungdil ehrlich und machte sich auf einen ungemütlichen Weg zwischen den Stämmen hindurch gefasst. Seine Axt würde ihm notfalls beistehen. »Aber ich kann auch eine Geschichte erzählen.«
    Er schilderte seine Erlebnisse in Gutenauen, berichtete von dem Alb und der Vernichtung des Ortes. Seine Erzählung geriet ins Stocken, die Erinnerung an das Grauen lebte auf.
    Er brach ab und versuchte, Schlaf zu finden, doch der Wald hielt ihn wach. Es bereitete den Bäumen anscheinend Vergnügen, immer dann laut zu ächzen und zu knarren, wenn er in tiefen Schlummer gleiten wollte.
    Hil und Kerolus störte das nicht besonders. Nun wusste der Zwerg, warum sie dem Branntwein so zusprachen: Er betäubte ihre Sinne derart, dass sie nichts hörten. Die Männer überließen ihm großzügigerweise die Aufgabe, über ihr Leben zu wachen.
    Die Geräusche endeten erst, als der Morgen graute. Die Trödler erhoben sich, wünschten Tungdil noch eine angenehme Reise und fuhren ausgeruht von dannen, während der Zwerg sich wie gerädert fühlte.
    Missmutig starrte er auf das Dunkel, das zwischen den Tannen auf ihn wartete. Es half nichts, er musste zum Schwarzjoch. Gorén lebte sicherlich in den Resten des Stollens, sollte die Geschichte, die ihm Kerolus vergangene Nacht erzählt hatte, einen Funken Wahrheit enthalten.
    Ungeheuer oder nicht, ich muss hindurch. Er zog die Axt, hielt sie mit beiden Händen gepackt und stapfte in den Wald hinein. Sogleich schlug ihm Ablehnung entgegen. Der Berg gab ihm deutlich zu verstehen, dass er ihn nicht in seiner Nähe haben wollte.
    Tungdil störte sich nicht weiter daran. Je eher er die Artefakte übergab, desto schneller konnte er in die Geborgenheit seines geliebten Stollens von Ionandar zurückkehren. Vielleicht haben die Zwerge vom Stamm des Zweiten bereits an Lot-Ionan geschrieben und sein Gesuch beantwortet, dachte er zuversichtlich.
    Seine trotzige Zielstrebigkeit führte ihn bald durch den Wald und direkt an den Fuß des Tafelbergs, ohne dass er auf irgendwelche Ungeheuer traf. Bei Tag schienen sie keine Lust zu haben, Wanderer anzugreifen. Ihm sollte es recht sein.
    Die senkrecht aufsteigenden Wände des Schwarzjochs aber schleuderten ihm stumme und derart unheilvolle Zurückweisung entgegen, dass er am liebsten kehrt gemacht hätte.
    Plötzlich löste sich eine Gerölllawine. Tungdil schaffte es gerade noch, eine Deckung zu finden; der letzte Steinbrocken schlug eine Handbreit neben ihm ein. Die Größe der Trümmerstücke hätte ausgereicht, um ihn zu erschlagen. Dennoch, es half nichts, er musste Gorén finden.
    Der Zwerg lief um den Fuß des Tafelbergs, ohne eine Hütte oder den Anfang eines Pfades zu erkennen. Laut rief er den Namen Goréns und hoffte, dass er sich zu erkennen gab. Nichts.
    Fluchend umrundete er die schwarzen, rissigen Wände ein weiteres Mal; dabei entdeckte er schmale Stufen, die von kundigen Steinmetzen in den Fels getrieben worden waren. Für ihn reichten die Abmessungen der Stiegen aus, aber die großfüßigen Menschen hätten Schwierigkeiten, sicheren Halt auf den Tritten zu finden.
    Tungdil erklomm des Schwarzjoch; er gelangte einhundert Schritte hoch, zweihundert Schritte hoch, dreihundert Schritte hoch. Er krabbelte auf allen vieren und hielt sich an den kurzen Stufen fest. Das war die einzige Sicherung, die sich ihm bot.
    Gelegentlich bewarf ihn der Berg mit Geröll und kleinen Lawinen, die ihm Schrammen an den Händen und im Gesicht zufügten. Ein Stein schlug ihm eine Platzwunde oberhalb der Stirn.

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