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Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Titel: Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Cronin
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und sprang.
    Sie fiel auf ihn herab wie ein Habicht, schwang die Klinge mit lang ausgestrecktem Arm nach vorn und stieß sie in seine Kehle. Ein Blutschwall, und seine Vorderbeine gaben unter ihm nach. Zu spät begriff Alicia, was passieren würde. Sie flog über seinen Kopf, die Schwerkraft packte sie, und ehe sie sichs versah, kullerte sie Hals über Kopf den Hang hinunter.
    Sie landete am Fuße des Höhenkamms. Irgendwo hatte sie ihre Brille verloren. Rasch rollte sie sich auf den Bauch und vergrub das Gesicht in der Armbeuge. Fuck! Sollte sie jetzt völlig hilflos hier liegen bleiben, bis es dunkel wäre? Sie streckte einen Arm aus und tastete den Boden um sie herum ab. Nichts.
    Jetzt blieb nur noch eins: Die Augen öffnen und nachsehen. Sie schmiegte das Gesicht weiter in die Armbeuge und erhob sich auf die Knie. Ihr Herz hämmerte gegen die Rippen. Tja, dachte sie, das wird wohl nichts.
    Zuerst sah sie nur Weiß– ein alles überlagerndes Weiß, als schaute sie direkt ins Herz der Sonne. Der Schock traf sie wie ein Nadelstich in den Schädel. Aber ganz unerwartet schnell begann sich etwas zu verändern. Ihr Sehvermögen kehrte zurück. Farben und Formen stiegen herauf wie Gestalten aus dem Nebel. Ihre Augen waren haarfeine Schlitze, und sie gestattete sich, sie ein winziges bisschen weiter zu öffnen. Nach und nach dämpfte sich das grelle Licht und enthüllte ihre Umgebung Stück für Stück.
    Nach fünf langen Jahren im Schatten sah Alicia Donadio, Captain des Expeditionsbataillons, das Tageslicht.
    Erst jetzt erkannte sie, wo sie war.
    Sie nannte es das Feld der Knochen. Obwohl es im strengen Sinne kein Feld war, und eigentlich waren es auch keine Knochen, sondern die zerbröckelnden, von der Sonne verbrannten Überreste einer Heerschar von Virals. Wie aufgewehter Schnee bedeckten sie das Flachland bis zum fernen Horizont. Wie viele waren es, die sie da sah? Hunderttausend? Eine Million? Mehr? Alicia trat vor und nahm ihren Platz unter ihnen ein. Jeder Schritt wirbelte eine Aschewolke auf. Der Geschmack drang in Nase und Kehle und kleidete die Mundhöhle aus wie eine Paste. Unerklärliche Tränen stiegen ihr in die Augen. Tränen der Trauer? Der Erleichterung? Des schlichten Staunens angesichts dieses unfassbaren Anblicks? Es war nicht ihre Schuld, dass sie waren, was sie waren. Es war nie ihre Schuld gewesen. Sie ließ sich auf ein Knie sinken, zog ein Messer aus ihrem Patronengurt und drückte die Klinge ehrfürchtig an Stirn und Herz. Dann schloss sie die Augen, senkte den Kopf und sandte ihre Gedanken im Gebet hinaus. Ich sende euch heim, meine Brüder und Schwestern, ich befreie euch aus dem Gefängnis eures Daseins. Ihr habt die Erde verlassen, um die Wahrheit dessen zu entschlüsseln, was jenseits dieses Lebens liegt. Möge eure Kraft auf mich übergehen, damit ich den Tagen, die vor mir liegen, ins Auge sehen kann. Gott begleite euch.
    Soldier war da, wo sie ihn zurückgelassen hatte. Seine Augen blitzten verärgert, als sie herankam. Ich dachte, wir hätten eine Abmachung, sagten sie. Wo zum Teufel hast du gesteckt? Aber als sie sich näherte, vertiefte sein Blick sich verständnisvoll. Alicia streichelte seinen Rücken und drückte einen Kuss auf das lange, kluge Gesicht. Seine muskulöse Zunge leckte die Tränen von ihren bloßen Augen. Du bist mein guter Junge, sagte sie. Mein guter, guter Junge.
    Sie hatte es eilig weiterzukommen, zuvor aber wollte sie ihre Beute genießen. Sie breitete ihre Plane zwischen den Bäumen aus, setzte sich auf den Boden und nahm den Rucksack ab. Darin, in Öltuch gewickelt, lag ein bebender, blutiger Klumpen: die Leber des Bocks. Sie hielt sie unter die Nase und atmete tief ein, sog den köstlichen, erdhaften Blutgeruch in die Lunge. Heute Abend würde sie kein Feuer zum Kochen brauchen. Alles war perfekt so, wie es war.
    Etwas veränderte sich; die Welt veränderte sich. Alicia spürte es tief in den Knochen. Eine tiefgreifende Verschiebung– seismisch, jahreszeitlich, als neige sich die Achse der Erde. Aber sie hätte später noch Zeit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.
    Jetzt, heute Abend, würde sie essen.

33
    Peter sah in den nächsten drei Tagen wenig von Michael. Der Termin der Abfahrt rückte bedrohlich näher. Sämtliche Ölkocher-Crews arbeiteten in Doppelschichten. Ohne Geld zum Kartenspielen konnte Peter nur schlafen, rastlos auf dem Gelände herumspazieren oder sich beim Marketender herumtreiben. Karlovic mochte er, aber mit Stark war es eine

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