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Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Titel: Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Cronin
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Unterschicht, Frauen, die weder Bildung noch Kultur besaßen, nicht weil er sie verachtete oder insgeheim begehrte, sondern weil sie leicht zu umgarnen waren. Sie waren seinen schönen Anzügen, seiner Filmstarfrisur, seiner seidigen Anwaltsstimme nicht gewachsen. Sie waren Körper ohne Namen, ohne Vergangenheit, ohne Persönlichkeit, und im Augenblick der Entrückung kam von ihnen keine Ablenkung. Das Timing war entscheidend, die sorgsam organisierte, gleichzeitige Befreiung. Der alte Chor von Sex und dem Gesang des Todes.
    Ein gewisses Maß an Übung war erforderlich gewesen. Es hatte Fehlzündungen gegeben. Es hatte, das musste er zwangsläufig zugeben, ein wenig zufällige Komik gegeben. Die Erste war gut, aber zu schnell gestorben, die Zweite hatte ein solches Getöse veranstaltet, dass die ganze Sache zur Farce verkommen war, und die Dritte hatte so mitleiderregend geweint, dass er sich kaum hatte konzentrieren können. Aber dann: Louise. Louise mit ihrer abgeschmackten Kellnerinnenuniform, ihren vernünftigen Kellnerinnenschuhen und ihrer abtörnenden Kellnerinnenstützstrumpfhose. Wie schön sie ihr Leben verlassen hatte! Wie köstlich die Verzückung, als er sie nahm! Sie war eine Tür zum weiten unergründlichen Jenseits, die sich öffnete. Er tauchte ein in die grenzenlose Dunkelheit des Nichtseins. War plötzlich ein vollkommen anderer Mensch, sein altes Ich löste sich auf; die Winde der Ewigkeit waren durch ihn hindurchgefahren und hatten ihn blankgescheuert. Es war alles das gewesen, was er sich ausgemalt hatte, und noch einiges mehr.
    Danach, offen gestanden, danach hatte er nicht mehr genug davon bekommen können.
    Was den Highway-Polizisten anging– die Welt war nicht frei von Ironie. Sie gab und nahm. Beispiel: Der Jaguar mit dem defekten Schlusslicht und der Sack mit der Leiche der Frau im Kofferraum. Der Cop, der auf den Wagen zuschlenderte, die eine Hand mannhaft auf dem Kolben der Pistole und das heruntergleitende Fenster auf der Fahrerseite. Das Gesicht des Streifenpolizisten, ganz nah, höhnisch verzogen in gelangweilter Selbstgerechtigkeit. Die Lippen, die die üblichen Worte formten– Sir, dürfte ich bitte …? – und den Satz nicht mehr zu Ende brachten. Bis dahin war es Martínez immer gelungen, die Leichen seiner Opfer unbemerkt zu beseitigen, sodass seine nächtlichen Praktiken nie mit ihm in Verbindung gekommen waren. Aber ein toter Polizist am Rande des Highways und die Aufzeichnungen der Videokamera im Streifenwagen– tja. Am Ende, wie man so sagt, gab es für den großen Julio Martínez, den Retter der Unrettbaren, den Verteidiger der abscheulich Wehrlosen, nichts weiter zu tun, als sich ein Glas dreißig Jahre alten Single Malt einzuschenken und ihn über die Zunge rollen zu lassen, während in den Fenstern seines Hauses die rot-blauen Lichter der Gerechtigkeit wirbelten, und dann mit pflichtbewusst erhobenen Händen herauszukommen.
    Was in Anbetracht der weiteren Entwicklungen letzten Endes eigentlich gar keine so unglückliche Wendung gewesen war.
    Martínez konnte nicht behaupten, dass er für die anderen aus dem Kreis der Zwölf viel übrighatte. Von Carter einmal abgesehen, den er nur erbärmlich fand– der Kerl schien nicht mal zu wissen, was er war oder was er getan hatte–, waren sie nichts als ordinäre Kriminelle, und was sie getan hatten, war beliebig und banal. Verkehrsunfall mit Todesfolge. Bewaffneter Raubüberfall mit unglücklichem Ausgang. Eine Leiche auf dem Boden nach einer Kneipenschlägerei. Hundertjähriges Marinieren in ihrem eigenen Psycho-Müll hatte alles nur noch schlimmer gemacht. Sein jetziges Dasein hatte freilich auch lästige Seiten. Dieses Niemals-ganz-allein-Sein. Der endlose Hunger, der dauernd gestillt werden musste. Das unaufhörliche Quak-quak-quak in seinem Kopf– nicht nur von seinen Brüdern, sondern auch von Zero. Und Ignacio: Der nervte besonders. Der Mann war eine einzige Litanei von selbstmitleidigen Ausreden. Ich hab’s doch die meiste Zeit gar nicht gewollt. Ich bin einfach so gepolt. Hundert Jahre lang hatte Martínez sich das Gewinsel des Mannes angehört, und er würde es kein bisschen vermissen.
    Babcock indes hatte etwas Berserkerhaftes an sich gehabt, das ihm sofort gefallen hatte. Seiner Mutter mit einem Küchenmesser den Kehlkopf herauszuschneiden– in einem anderen Leben wäre er sicher ein Dichter geworden. Im Laufe der Jahrzehnte hatte Martínez aber bestimmt hunderttausend Mal in dieser stinkenden Küche gesessen,

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