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Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Titel: Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Cronin
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Homelands steht auf dem Spiel.
    Jeder muss seinen Beitrag leisten!
    *Seid wachsam. Jeder, der neben einem steht, könnte in diesem Moment den Tod Hunderter planen.
    *Meldet jede verdächtige Aktivität einem Mitarbeiter der Human-Resources-Verwaltung.
    *Achtet in eurer Unterkunft und an eurem Arbeitsplatz auf Disziplin.
    *Seid allzeit bereit. Jeder kann zur Verteidigung des Homelands eingezogen werden.
    *Wer der Rebellion Unterstützung leistet oder die Homeland-Behörden an der Ausübung ihrer Pflichten hindert, wird als Staatsfeind betrachtet werden.
    Augen auf! Ohren auf! Wachsam sein!
    Gemeinsam schaffen wir wieder Frieden und Sicherheit für unser geliebtes Homeland!

36
    Überall tuschelten die Leute. Auf dem Markt war wieder eine Bombe explodiert.
    Der Novembermorgen dämmerte kalt und grau herauf und schmeckte nach dem bevorstehenden Winter. Sara erwachte vom Gellen der Sirene. Ein vielfaches Husten und Räuspern begann, und Gelenke erwachten unschlüssig knackend zum Leben. Ihre Augen und ihr Mund waren trocken wie Papier. Es roch im Raum nach ungewaschener Haut, schalem Atem und Entlausungspuder, der biologische Dunst des menschlichen Verfalls, auch wenn Sara es kaum bemerkte. Ein Teil dieses Geruchs, das wusste sie, kam von ihr selbst.
    Wieder ein mitleidloser Sonnenaufgang, dachte sie. Wieder ein Morgen als Bürgerin des Homelands.
    Sie hatte gelernt, nicht lange liegen zu bleiben. Eine Minute zu spät in der Essensschlange, und man riskierte, sich ohne einen Bissen im Magen durch den Tag zu schleppen. Eine Schale Maisbrei war noch immer besser als ein paar kurze Minuten in unruhigem Halbschlaf. Mit knurrendem Magen wickelte sie sich aus der fadenscheinigen Decke, setzte sich auf die Pritsche und zog den Kopf ein, um die Füße in den Turnschuhen auf den Dielenboden zu stellen. Sie behielt ihre Turnschuhe– oder was sie so nannte: ein verschlissenes Paar Reeboks, die sie von einer verstorbenen Kojengenossin geerbt hatte– beim Schlafen immer an, weil sie sonst gestohlen würden. Wer hat meine Schuhe genommen?, schrie eine Stimme dann, und wer immer das Opfer war, er oder sie rannte durch die Baracke, flehend und drohend, und brach schließlich verzweifelt schluchzend zusammen. Ich sterbe ohne sie! Helft mir doch, irgendjemand! Es stimmte: Ohne Schuhe starb man. Sara arbeitete zwar in der Biodiesel-Fabrik, aber es hatte sich im Flachland herumgesprochen, dass sie Krankenschwester gewesen war. Sie hatte die erfrorenen Zehen gesehen, die aussahen wie schwarze Nüsse, und die Krusten von Würmern, die sich eingegraben hatten. Sie hatte das Ohr auf die eingefallenen Brustkörbe gelegt und dem pneumonischen Rasseln langsam ertrinkender Lungenflügel gelauscht. Unter den Fingerspitzen hatte sie die Bäuche gefühlt, hart wie ein straffes Trommelfell von einer septischen Blinddarmentzündung, von einem bösartigen Tumor, von simpler Unterernährung. Sie hatte die flache Hand auf fieberglühende Stirnen gelegt und suppende Wunden verpflastert, die den Körper mit ihrer Fäulnis verzehren würden. Zu jedem sagte sie (und schmeckte dabei die Lüge im Mund): Das wird schon wieder. Keine Sorge. In ein paar Tagen bist du wieder kerngesund, das verspreche ich dir. Was sie ihnen gab, war keine medizinische Versorgung; es war eine Art Segen: Du wirst sterben, und es wird wehtun, aber du wirst hier sein, unter deinesgleichen, und die letzte Berührung, die du fühlen wirst, wird sanft und freundlich sein, denn sie wird von mir kommen.
    Die Kols durften nämlich nicht wissen, dass man krank war, und die Rotaugen schon gar nicht. Niemand sprach es laut aus, aber die Leute im Flachland machten sich kaum Illusionen darüber, wozu das Krankenhaus in Wirklichkeit diente. Ob Mann oder Frau, Alt oder Jung– wer durch diese Türen verschwand, wurde nie wiedergesehen. Ab ging’s zum Fressplatz.
    Jeweils vier Kojen übereinander, jede Reihe zwanzig Kojen lang, zehn Reihen: achthundert Seelen, in eine Baracke von der Größe einer Futterscheune gezwängt. Die Leute standen auf, stülpten ihren Kindern Mützen über die Köpfe und murmelten vor sich hin, und mit der schwerfälligen Friedfertigkeit von Rindern schoben sie sich schlurfend zum Ausgang. Sara schaute sich hastig um und vergewisserte sich, dass niemand sie beobachtete; sie kniete an ihrer Koje nieder, hob die Matratze mit einer Hand hoch und schob die andere darunter. Schnell nahm sie das sorgfältig zusammengefaltete Stück Papier aus seinem Versteck und schob es in die

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