Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)
würde ich es Ihnen mit Freuden holen. Vielleicht weiß Jenny es.«
» Das ist ja der springende Punkt, wissen Sie. Genau das meine ich.« Lila seufzte tief. Es war schade, aber ihr blieb wirklich nichts weiter übrig. Es war besser, ein Pflaster mit einem Ruck abzureißen, statt die Sache in die Länge zu ziehen.
» Ich fürchte, Yolanda, ich muss Sie entlassen.«
» Entlassen?«
» Entlassen, ja. No más. Wir können Ihre Dienste nicht länger gebrauchen, fürchte ich.«
Die Augen der Frau quollen praktisch aus den Höhlen. » Das können Sie nicht machen!«
» Es tut mir wirklich leid. Ich wünschte, es hätte geklappt. Aber unter diesen Umständen lassen Sie mir wirklich keine Wahl.«
Die Frau warf sich Lila zu Füßen. » Bitte! Ich tue alles!«
» Yolanda, reißen Sie sich zusammen.«
» Ich flehe Sie an«, heulte die Frau in ihre Röcke. » Sie wissen doch, was sie mit mir machen werden. Ich werde mich mehr anstrengen, das schwöre ich Ihnen!«
Lila hatte damit gerechnet, dass sie es nicht gut aufnehmen würde, aber diese würdelose Aufführung kam völlig unerwartet. Es war regelrecht peinlich. Der Drang, ihr eine tröstende Berührung zukommen zu lassen, war stark, doch Lila widerstand ihm, um das alles nicht unnötig in die Länge zu ziehen. Ihre Hände schwebten unschlüssig in der Luft. Vielleicht hätte sie warten sollen, bis David nach Hause kam. Er verstand sich besser auf diese Dinge.
» Wir werden Ihnen natürlich ein Zeugnis schreiben, meine Liebe. Und Sie bekommen zwei Wochenlöhne. Sie sollten es wirklich nicht so schwernehmen.«
» Das ist ein Todesurteil!« Sie umklammerte Lilas Knie, als wären sie ein Rettungsfloß. » Die schicken mich in den Keller!«
» Ich glaube kaum, dass man hier von einem Todesurteil sprechen kann. Das ist absolut übertrieben.«
Aber die Frau war vernünftigen Argumenten nicht mehr zugänglich. Im Sturm ihres hemmungslosen Schluchzens konnte sie keine Worte mehr artikulieren. Sie hatte ihr Flehen aufgegeben und durchtränkte Lilas Rock mit Schleim und Tränen. Lila wollte nur noch eins: Die Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen. Sie hasste solche Dinge. Sie hasste sie.
» Was ist denn hier los?«
Lila sah die Gestalt in der Tür und seufzte erleichtert. » David. Gott sei Dank. Anscheinend haben wir hier ein Problem. Yolanda– na ja, sie ist ein bisschen aufgebracht. Ich habe beschlossen, sie zu entlassen, und sie hat es nicht gut aufgenommen.«
» Mein Gott, schon wieder eine? Was ist denn los mit dir?«
Das war jetzt wieder typisch. Typisch David. » Du hast gut reden. Bist den ganzen Tag weg, lässt mich zu Hause sitzen. Ich dachte, du würdest mich unterstützen.«
» Bitte tun Sie das nicht!«, heulte Yolanda.
Lila machte eine Handbewegung, die sagte: Schaff mir diese Frau vom Leib. » Könntest du mir vielleicht ein bisschen helfen?«
Doch wie sich zeigte, war das schwieriger, als man hätte denken sollen. Als David (nicht David) sich bückte, um die schluchzende Yolanda (nicht Yolanda) von Lilas Knien loszuwinden, verdoppelte die Frau ihre Anstrengungen; sie hielt sich fest und fing– unglaublich– an zu schreien. Was machte sie denn für eine Szene? Du liebe Güte, so wie die sich aufführte, konnte man ja meinen, es käme einem Todesurteil gleich, seinen Job als Dienstmädchen zu verlieren. Mit einem heftigen Ruck an der Taille riss David sie von Lila los. Die Frau trat und strampelte in seinen Armen und schlug um sich wie eine Verrückte. Nur durch seine überlegene Körperkraft gelang es ihm, sie festzuhalten. Das musste man David lassen, er hielt sich in Form.
» Es tut mir leid, Yolanda!«, rief Lila hinterher, als er sie hinausbrachte. » Ich schicke Ihnen einen Scheck!«
Die Tür fiel hinter den beiden ins Schloss. Lila atmete tief aus und erkannte, dass sie die Luft angehalten hatte. Na, was sagte man dazu? War das nicht die unangenehmste Geschichte, die sie jemals hatte ertragen müssen? Sie war völlig durch den Wind und hatte außerdem ordentliche Gewissensbisse. Yolanda war jahrelang bei ihnen gewesen, und jetzt endete das alles so schrecklich. Lila hatte einen sauren Geschmack im Mund. Aber man musste doch zugeben, dass Yolanda nie die beste Haushälterin gewesen war, und in letzter Zeit hatte sie sich wirklich gehen lassen. Wahrscheinlich irgendwelche privaten Schwierigkeiten. Lila war allerdings nie bei der Frau zu Hause gewesen; sie wusste nichts über ihr Leben. War das nicht sonderbar? All die Jahre war
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