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Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Titel: Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Cronin
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Yolanda gekommen und gegangen, und es war, als hätte Lila sie gar nicht gekannt.
    » Na, sie ist weg. Gratuliere.«
    Lila bürstete jetzt weiter ihr Haar, und sie musterte David kühl im Spiegel, als er in der Tür seine Krawatte gerade rückte.
    » Und inwiefern genau ist das meine Schuld? Du hast sie doch gesehen. Sie hat restlos die Beherrschung verloren.«
    » Das war die Sechste in diesem Jahr. Gute Dienstmädchen wachsen nicht auf den Bäumen.«
    Noch einmal zog sie wohlig die Bürste durch ihr Haar. » Dann ruf den Service an. Das ist eigentlich keine so große Sache, weißt du.«
    David sagte nichts weiter. Anscheinend war es ihm recht, das Thema auf sich beruhen zu lassen. Er ging zum Sofa und zupfte die Hosenbeine an den Knien hoch, bevor er sich hinsetzte.
    » Wir müssen miteinander reden.«
    » Siehst du nicht, dass ich zu tun habe? Brauchen sie dich nicht in der Klinik oder so?«
    » Ich arbeite in keiner Klinik. Das haben wir schon hundert Mal besprochen.«
    Wirklich? Manchmal waren ihre Gedanken wie Herbstlaub, manchmal summten sie wie kleine Bienen in einem Einmachglas herum.
    » Was ist in Texas passiert, Lila?«
    » In Texas?«
    Er seufzte übellaunig. » Mit dem Konvoi. Auf der Oil Road. Ich dachte, meine Anweisungen wären klar.«
    » Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wovon du redest. Ich bin in meinem ganzen Leben noch nicht in Texas gewesen.« Sie hörte auf mit dem Bürsten und schaute David im Spiegel in die Augen. » Brad hat Texas immer gehasst. Aber wahrscheinlich möchtest du darüber nichts hören.«
    Sie sah, dass ihre Worte ins Schwarze getroffen hatten. Das Thema Brad war ihre Geheimwaffe. Sie wusste, dass es sich nicht gehörte, doch es machte ihr eine perverse Freude, Davids Gesichtsausdruck zu sehen, wenn sie den Namen aussprach– die ernüchterte Leere im Blick eines Mannes, der wusste, dass er nicht mithalten konnte.
    » Ich verlange nicht viel von dir. Ich frage mich allmählich nur, ob du diese Dinge vielleicht nicht mehr im Griff hast.«
    » Ja, schön.« Summ summ.
    » Hörst du mir überhaupt zu? Wir können uns eine solche Katastrophe nicht noch einmal leisten. Nicht, wenn wir so dicht davorstehen.«
    » Ich weiß nicht, worüber du dich so aufregst. Und ehrlich gesagt, mir gefällt dein Ton nicht.«
    » Verdammt noch mal, leg diese Scheißbürste aus der Hand!«
    Aber bevor sie es tun konnte, riss er ihr die Bürste aus den Fingern und warf sie quer durch das Zimmer. Dann packte er sie bei den Haaren, riss ihren Kopf in den Nacken und schob sein Gesicht so nah heran, dass es kein Gesicht mehr war, sondern ein Ding, ein monströs verzerrtes, schneckenartiges Ding, aus dem ihr ein fauliger Bakterienatem entgegenwehte.
    » Ich habe genug von deinem Blödsinn.« Speichel spritzte auf ihre Wangen und in ihre Augen und sprühte ekelerregend aus seinem Mund in ihren. An den Rändern seiner Zähne klebte eine dunkle Substanz und ließ sie erschreckend grell aussehen. Blut. Seine Zähne waren blutverkrustet. » Von deiner Nummer. Von deinem idiotischen Spiel.«
    » Bitte«, keuchte sie. » Du tust mir weh.«
    » Wirklich?« Er riss wütend an ihrem Haar. Ein tausendfacher nadelspitzer Schmerz durchfuhr ihre Kopfhaut.
    » David«, flehte sie, und ihre Augen schwammen in Tränen. » Ich bitte dich. Überleg doch, was du tust.«
    Das Schneckengesicht brüllte vor Wut. » Ich bin nicht David! Ich bin Horace! Mein Name ist Horace Guilder!« Wieder ging ein Ruck durch ihr Haar. » Sag es!«
    » Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht! Du bringst mich durcheinander!«
    » Sag es! Sag, wie ich heiße!«
    Der Schmerz tat seine Wirkung. Als wäre ein Wirbelsturm durch sie hindurchgefegt, war plötzlich alles wieder klar.
    » Du bist Horace! Bitte hör auf!«
    » Noch einmal! Alles!«
    » Horace Guilder! Du bist Horace Guilder, Oberster Führer des Homelands!«
    Guilder ließ sie los und trat einen Schritt zurück.
    Sie lag über den Frisiertisch gebeugt, von Schluchzern geschüttelt. Wenn sie doch nur zurückgehen könnte. Geh zurück, dachte sie und presste die Augen fest zusammen, um diesen grauenvollen Mann, diesen Horace Guilder, nicht mehr sehen zu müssen. Lila, geh zurück. Schick dich wieder fort. Ein Ekel, der aus namenlosen Tiefen heraufstieg, ließ sie zittern, eine Übelkeit, die nicht den Körper, sondern die Seele befiel, den metaphysischen Kern ihres zersplitterten Ichs. Im nächsten Moment lag sie auf den Knien und übergab sich, und keuchend und würgend spuckte sie das

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