Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)
ihr ihre Tochter weggenommen hatten.
Sie merkte, dass Eustace und Nina darauf warteten, dass sie etwas sagte, und sie begriff, dass alles, was sie gesagt und getan hatten, nur diesem einzigen Ziel gedient hatte. Sorgfältig, Schritt für Schritt, hatten sie sie an den Rand eines Abgrunds geführt. Wenn sie jetzt weiterginge, wäre sie nicht mehr sie selbst.
» Was soll ich tun?«
VII
Der Outlaw
Was Fliegen sind den müß’gen Knaben, das sind wir den Göttern; Sie töten uns zum Spaß.
Shakespeare, König Lear
41
Die drei waren am Morgen von einer DS -Streife gerettet worden, die mit der Suche nach den vermissten Tanklastern beauftragt gewesen war. Inzwischen hatten Peter, Michael und Lore die Hardbox verlassen und waren zum Schauplatz des Überfalls zurückgekehrt. Die Explosion hatte einen tiefen Krater von mindestens fünfzig Metern Durchmesser hinterlassen. Verbogene Trümmerteile lagen haufenweise verstreut in der Landschaft ringsum. Öliger Rauch stieg von den immer noch brennenden Ölpfützen auf und verschmierte einen Himmel, in dem bereits Wolken von fliegenden Aasfressern kreisten. Zu schwarzen Krusten verkohlte Kadaver lagen zwischen den zerfetzten Metallteilen. Was von diesen grausigen Überresten zu ihren Angreifern gehörte, war nicht mehr zu erkennen. Alles, was von dem geheimnisvoll glänzenden Sattelschlepper übrig war, waren ein paar hochglanzverzinkte Blechplatten, die nichts bewiesen.
Michael war ein Wrack. Seine Verletzungen– eine ausgekugelte Schulter, die er gegen die Wand der Hardbox gerammt und so wieder eingerenkt hatte, ein verstauchter Knöchel und eine Platzwunde über dem rechten Ohr, die genäht werden musste– waren noch das geringste Problem. Dreiundzwanzig Ölhände und acht Domestics, Männer und Frauen, mit denen er gelebt und gearbeitet hatte. Michael hatte das Kommando gehabt, und sie hatten ihm vertraut. Jetzt waren sie nicht mehr da.
» Warum, glaubst du, hat er das getan?«, fragte Peter. Er sprach von Ceps. In der langen Nacht in der Hardbox hatte Michael ihm erzählt, was er im Rückspiegel gesehen hatte. Jetzt saßen die beiden auf dem Boden am Flussufer. Lore war flussaufwärts gewandert. Peter sah, wie sie am Wasser kauerte und wie ihre Schultern zuckten, als sie die Tränen vergoss, die sie nicht sehen sollten.
» Ich schätze, er nahm an, dass es keinen anderen Ausweg mehr gab.« Michael spähte mit schmalen Augen zum Himmel und zu den kreisenden Vögeln hinauf, ohne irgendetwas davon richtig wahrzunehmen. » Du hast ihn nicht gekannt, wie ich ihn kannte. In dem Kerl steckte eine Menge. Nie im Leben hätte er zugelassen, dass jemand befallen wurde. Ich wünschte nur, ich hätte den Mut gehabt, es selbst zu tun.«
Peter sah den Schmerz und die Zweifel im Gesicht seines Freundes, die Schmach des Überlebenden. Dieses Gefühl hatte er schon selbst erlebt. So etwas ging nie wieder weg. » Es war nicht deine Schuld, Michael. Wenn überhaupt jemand daran schuld war, dann ich.«
Wenn das ein Trost war, konnte Peter es nicht erkennen. » Was glaubst du, wer diese Leute waren?«, fragte Michael.
» Ich wünschte, das wüsste ich.«
» Was zum Teufel ist das gewesen, Peter? Eine Lastwagenladung Virals? Als ob sie Haustiere wären oder so was? Und diese Frau?«
» Ich kapier’s auch nicht.«
» Wenn sie das Öl wollten, hätten sie es doch einfach nehmen können.«
» Ich glaube nicht, dass sie es darauf abgesehen hatten.«
» Na schön. Ich auch nicht.« Wut rieselte durch seinen Körper. Er spannte sich innerlich an. » Aber eins weiß ich. Wenn ich diese Leute jemals finde, werde ich dafür sorgen, dass es wehtut.«
Sie verbrachten die Nacht zusammen mit dem Suchtrupp in einer Hardbox östlich von San Antonio und kehrten am nächsten Morgen zurück nach Kerrville. In der Stadt verteilten sie sich auf verschiedene Kommandobereiche: Peter ging zum Divisionshauptquartier, und Michael und Lore meldeten sich bei der Behörde, die für die » Ex-muros«-Liegenschaften zuständig war, also auch für den Ölkomplex in Freeport. Peter bekam vor dem Meeting Gelegenheit, sich zu waschen. Es war Mittag, und die Unterkünfte waren großenteils leer. Lange stand er unter der Dusche und sah zu, wie der ölige Ruß zu seinen Füßen strudelte. Er kannte sich gut genug, um zu wissen, dass die ganze emotionale Wucht der Ereignisse noch nicht bei ihm angekommen war. Er konnte nie entscheiden, ob das eine Schwäche oder eine Stärke war, aber er war nun einmal so. Er
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